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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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Luftlöchern, und die Zuhörer kreischten bei jeder Berg- und Tal- und neuen Bergfahrt vor Begeisterung. Es war Ravans Geschenk, sein Dankeschön, seine Reverenz vor dieser temperamentvollen jungen Frau, die seine Musik verstand und zu würdigen wusste und sich für sie stark machte. Er hatte ihr Unrecht getan. Sie mochte dreist sein, aber von Musik verstand sie durchaus etwas.
    Der Wind rüttelte den gigantischen Shamiyana durch wie ein winziges Floß auf stürmischer See. „Sita, oh Sita! Wo ist dieses Mädchen nur hin?“ Die Stimme klang jetzt lauter und ungeduldig. Die Freundinnen des Tamarindenmädchens schauten ein wenig nervös, aber sie selbst war die Nonchalance in Person. Sie nahm ihren langen dicken Zopf in die Hand und warf ihn von Schulter zu Schulter.
    Eine füllige Frau in einem Acht-Meter-Sari stieß einige Leute beiseite und packte Sita bei den Haaren. „Bist du taub? Ich ruf schon seit einer Viertelstunde nach dir! Und was ist mit euch?“, fragte sie die anderen Mädchen. „Ihr habt mich natürlich auch nicht nach ihr rufen hören, was?“ Sie schüttelten einmütig den Kopf. „Woher denn auch? Ihr seid ihr ja so treu ergeben, wie kein Hund das fertigbrächte!“
    Der Himmel verfinsterte sich und der Wind blies bösartig. Es ertönte ein Grollen, als stürzte gerade ein Berg ein. Dann verstummte alles schlagartig. Ravan vermutete, dass nur die Anwesenheit des Patriarchen die Ursache solch übernatürlicher Stille sein konnte. Er täuschte sich nicht. „Führ deine Tochter ins Haus“, befahl er der stämmigen Frau. Seine Rede war knapp und schroff. „Lass sie nicht aus den Augen. Sita, geh ins Haus, wasch dich und zieh dich an. Du setzt erst wieder einen Fuß vor die Tür, wenn der Priester nach dir ruft. Verstanden?“
    Es war nicht klar, ob Sita irgendetwas darauf erwiderte. Es ertönte eine lange Folge von Donnerschlägen. Ein Blitz zuckte über einen Baum in Mr Patils Obstgarten. Das Licht ging aus und Regen krachte hernieder. Der brennende Baum war die einzige Lichtquelle auf dem großen dunklen Anwesen. Er verzehrte sich in makabrer gelbroter Wut, während der Regen rings um ihn wie Feuerwerkskörper niederprasselte. Palmen peitschten und schnappten nacheinander. Die Leute ergriffen die Flucht. „Niemand rührt sich von der Stelle!“, erhob sich Mr Patils Stimme über das Getöse. Die Panik ließ sich dadurch nicht aufhalten. Ein Kind weinte und kreischte ohne Unterlass. „Alle ins Haus!“ Es begann ein Exodus in Richtung Tür des Herrenhauses. „Frauen und Kinder zuerst!“ Mr Patils Stimme schnappte über.
    Der Wind riss zwei Zeltstangen aus der Erde, das Leinwanddach knarrte und wogte bedenklich, drei weitere Stangen brachen ziemlich genau in der Mitte, blieben aber unentschlossen stehen, Blitze beleuchteten die Szene wie himmlische Stroboskoplampen. Stühle schaukelten und tanzten auf den plötzlich dahinschießenden Fluten, und der Shamiyana fing an zu wanken und zu kippen. Mr Patil verlor die Nerven und rannte nach draußen, gefolgt von Ravan, der sein Instrument verzweifelt durch das Wasserchaos schob. Eine Bambusstange krachte auf den Resonanzkasten und schlug einen Teil davon ab. Anstatt froh zu sein, selbst so haarscharf dem Unheil entgangen zu sein, grämte sich Ravan über den Schaden, den sein Xylophon erlitten hatte. Das war’s dann wohl mit seinen Träumen, die Band zu neuem Leben zu erwecken und es selbst zu landesweiter Berühmtheit zu bringen.
    Mr Patil kämpfte sich aus den Leinwandbahnen, die sich um ihn gelegt hatten, und stapfte zu Ravan herüber. Wasser strömte ihm über die Stirn und in sein Hemd. Der Wind stieß und rüttelte ihn durcheinander, aber er schien sich dessen gar nicht bewusst zu sein. Geistesabwesend wischte er sich mit dem Ärmel über das Gesicht. „Reparieren Sie das“, sagte er und deutete auf das Xylophon. „Wie immer das Ding heißen mag – sorgen Sie dafür, dass es in spätestens drei Stunden wieder funktioniert!“
    â€žWas denn, die Hochzeit findet trotzdem statt?“, fragte Ravan ungläubig. Er war völlig durchfroren. Er wog eine Tonne, denn seine dicke Uniform schien den größten Teil des Regens, der heruntergekommen war, in sich aufgesogen zu haben. Seine Zähne klapperten wie ein schlecht sitzendes

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