Die Statisten - Roman
auf einer Grundschule.
Es gibt allerdings auch eine andere Sorte Nachhilfeunterricht; eine, die sich möglicherweise allein in Indien findet. Weibliche Wickelkinder, Teenagerinnen, Frauen in der ersten Blüte der Jugend, Ehefrauen und alternde Jungfern, UrgroÃmütter biblischen Alters; Hausfrauen, Ãrztinnen, Anwältinnen, Ladenmädchen, IT-Cracks, Bettlerinnen, Investmentbankerinnen, Gemüseverkäuferinnen und Fischweiber, Pilotinnen und Sekretärinnen ⦠jede Frau im Lande â gelegentliche Ausrutscher der Natur ausgenommen â strebt danach, Bollywood-Schauspielerin zu werden. Wie Ihnen aber jedes Kind sagen kann, gibt es nur einen einzigen Weg, Filmstar in diesem Land zu werden: nämlich Miss India zu werden, Miss World, Miss Universum oder wenigstens Miss HinreiÃendste Eckzähne, Miss Niedlichste Zehlein, Miss Einladendst Gewölbte Augenbrauen, Miss Beste Linke Brust, Miss Ich-leg-mich-hin-und-sterbe, Miss Knackarsch, Miss Sinnlichste Achselhöhlen.
Es ist nicht weiter schwierig, eine Schönheitskönigin zu werden. Frau muss dazu nur ihre Möpse um einige Pfund vergröÃern, Pobacken und erschlaffende Gesichtsmuskeln aufspritzen lassen, sich den unversenkbaren Rettungsring absaugen, jegliche Körperhärchen weglasern und neue Hüften, Nase und Zähne einbauen lassen â am besten auch gleich Leber und Blinddarm für den Fall, dass Donald Trump oder jemand ähnlich Neugieriger einen Blick in sie hineinwerfen möchte; lernen, auf dreiÃig Zentimeter hohen, stricknadeldünnen Absätzen zu stöckeln, vorzugsweise aber zu sprinten; kokett wackeln, wedeln, gickern und kichern; sich hirnamputiert geben, selbst wenn frau einen IQ von 191 hat; und nie und nimmer, selbst unter Androhung von Folter, Todesstrafe, Pech und Schwefel, verraten, wie sehr frau ihre Mitbewerberinnen verabscheut und am liebsten jede Einzelne von ihnen mit einem Eispickel ins Jenseits befördern würde.
Schönheitswettbewerbe waren früher eine so simple Angelegenheit! Man sah zum AnbeiÃen aus, und zack! hatte man sein Krönchen. Doch seitdem ist die Sache viel, viel komplizierter geworden. Jetzt muss jede Konkurrentin, wie ein weiblicher James Bond, im Alleingang und gegen eine erdrückende Ãbermacht die Welt retten â oder zumindest das eigene Land. Man muss den Preisrichtern, ganz zu schweigen von Abermillionen Zuschauern weltweit, mit vor Rührung erstickter Stimme erklären, was man als seine vordringlichste Aufgabe ansähe, wenn man Premierministerin wäre.
Es gab einmal eine hinreiÃende Inderin, gertenschlank und geschmeidig, grazil und so schön, dass einem das Herz stehenblieb, die den Miss-World-Titel schon so gut wie in der Tasche hatte, doch dann machte sie den Mund auf und gab den möglicherweise denkwürdigsten Satz in der Geschichte der Schönheitswettbewerbe von sich. Als Premierministerin ihres Landes, erklärte sie seidenglatt, würde sie es als ihre wichtigste Herausforderung betrachten, ein Sportstadion zu bauen. Zwar versank die Schönheitskönigin in spe schneller in der Versenkung als seinerzeit Luzifer nach seiner Meinungsverschiedenheit mit Gott, aber dafür gab sie den Anstoà zu etwas völlig Einzigartigem: der Gründung einer Nachhilfeschule für angehende PremierministerInnen.
Doch kehren wir zu den Mainstream-Nachhilfeschulen zurück. Die Hauptsache ist natürlich zu wissen, welche von ihnen die höchste Punktzahl bringt. Zum Glück schalten die Privatschulen mit der gröÃten Feuerkraft gleich an dem Tag, nachdem die Ergebnisse der wichtigsten Prüfungen bekanntgegeben werden, in den Zeitungen halb- und ganzseitige Anzeigen mit den Fotos ihrer Schüler, die unter den fünfzehn oder dreiÃig Besten gelandet sind. Damit müsste die Angelegenheit eigentlich zweifelsfrei geklärt sein. Was wäre wohl eine bessere Empfehlung als solch ein strahlender Leistungsnachweis? Doch unterschätzen Sie niemals die Findigkeit des indischen Unternehmers an sich! Einige der gröÃten Nachhilfe-Institutionen kooptieren nämlich Schüler mit retrograder Wirkung. Was im Klartext bedeutet, dass die betreffenden Schüler zwar in der Tat hervorragend abgeschnitten haben, aber aus eigener Kraft und ohne jedes Coaching, und dass sie nun dazu überredet worden sind, natürlich für eine entsprechende Gegenleistung, ihre Namen und Fotos zu Werbezwecken zur
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