Die Staufer und ihre Zeit
übernehmen: Wer gibt Schutz, wer sorgt für die Nahrung – und wer für das Seelenheil?
SPIEGEL: Also Ritter, Bauern, Klerus?
WEINFURTER: Exakt, wobei die Kirche mit den Priestern als Vermittlern des Seelenheils den obersten gesellschaftlichen Rang einnimmt. Für die Stauferzeit ist das von größter Bedeutung, denn erst jetzt geht der Machtkampf zwischen Papst und Kaiser in die entscheidende Phase.
SPIEGEL: Welche Stellung hatte der weltliche Herrscher in früherer Zeit gegenüber dem Papst?
WEINFURTER: Bis in die Zeit des Investiturstreits im ausgehenden 11. Jahrhundert gab es streng genommen keinen weltlich legitimierten Herrscher. Der König wurde vielmehr als der Stellvertreter des himmlischen Königs angesehen: Er herrscht über ein Reich, das eigentlich dem himmlischen Herrn gehört. Es ist ein Gottesreich, »Domus dei«, das »Haus Gottes«. Die Bezeichnung »Römisches Reich«, die sich daneben einspielt, ist eigentlich nur ein Ersatzname, der vom Kaisertum herkommt. Doch dieses alte Ordnungsmodell vom Gottesreich geht zugrunde durch den Anspruch des Papstes, die höchste Verantwortung für die römisch-christliche Welt zu besitzen. Überallhin schickt er jetzt seine Legaten, bis in die entferntesten Regionen in Europa und in den Mittelmeerraum, mit Ausnahme von Byzanz. Er ist präsent wie nie zuvor, während das Kaisertum seine alte Funktion, den Raum des Stellvertreters Christi abzustecken, verliert.
SPIEGEL: Sahen sich die Staufer noch – in der alten Tradition – als irdische Stellvertreter des Herrn?
WEINFURTER: Diese Vorstellung ging nicht ganz unter. Sicherlich hingen sie der Auffassung an, dass dem König und mehr noch dem Kaiser eine sakrale Legitimität zukommt, aber sie begründet nur mehr eine Zuständigkeit für die weltlichen Dinge. Der Auftrag rührt zwar von Gott her, erstreckt sich jedoch nicht mehr auf die Angelegenheiten der Kirche und des Glaubens.
STEFAN WEINFURTER
Neben der politischen Geschichte und den Lebensläufen der großen Herrscher hat Weinfurter immer auch die gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungen im Blick. Die besondere Aufmerksamkeit des 1945 geborenen Historikers gilt den Epochen der Ottonen, der Salier und der Staufer. Im Stauferjahr 2010 ist er wissenschaftlicher Koordinator der Mannheimer Ausstellung »Die Staufer und Italien«. Weinfurter lehrt seit 1999 in Heidelberg.
SPIEGEL: Unter Barbarossa kommt der Begriff des »heiligen Reiches«, »Sacrum Imperium«, auf. Sollte damit nicht der göttliche Auftrag noch einmal besonders hervorgehoben werden?
WEINFURTER: Da muss man sehr genau hinschauen: »Sacrum Imperium« bedeutet eine Heiligkeit, die von der Kirche, der »Sancta Ecclesia«, unabhängig ist.
SPIEGEL: Wenn wir das Jahr 1138 betrachten: Da wird Konrad III. als erster Staufer zum König gewählt. Die Kölner Königschronik klingt düster: »Die Zeiten dieses Königs waren ziemlich traurig. Unter ihm herrschten schwankendes Wetter, dauernde Hungersnot, wechselnder Kriegslärm.« Trifft das die Zeit?
WEINFURTER: Die Jahre zwischen 1138 und 1152 sind vom Klima her tatsächlich nicht gut, zu kalt, zu wenig Sonne, die Ernten sind schlecht, es kommt zu Hungersnöten. Das ist eine Ausnahme, nachher ändert sich das. Aber alles in allem waren die Lebensumstände hart.
SPIEGEL: Das heißt, die meisten Zeitgenossen der Staufer lebten in Armut und Abhängigkeit?
WEINFURTER: Ja. Keiner von uns möchte damals gelebt haben. Die Menschen hatten aber keine Wahl, sie konnten sich nichts Besseres aussuchen. Wer als Einzelner die Freiheit gesucht hätte, wäre ohne Schutz gewesen – er hätte gar keine Chance gehabt zu bestehen. Man darf sich auch nicht vorstellen, dass ein Adeliger ständig über die Felder reitet, die Ernte zerstört und die Bauern durch die Wälder jagt. Warum soll er das machen? Er würde seine eigenen Grundlagen vernichten. Im Gegenteil, der Herr muss darauf
achten, dass seine Leute gut wirtschaften können, weil dann seine Einkünfte steigen.
SPIEGEL: Klingt mehr nach Unternehmergeist als nach dunklem Mittelalter.
WEINFURTER: Im Aufschwung der Städte wird das unternehmerische Denken sehr gut deutlich. Die Stadtentwicklung bekommt im 12. und 13. Jahrhundert einen kräftigen Schub – durch den König und die adligen und bischöflichen Herren. Sie verleihen die nötigen Privilegien wie Marktrechte oder Handelslizenzen, sie gewähren den nötigen Schutz. Erst einmal ist das purer Eigennutz, weil die Landesherren vom steigenden
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