Die Staufer und ihre Zeit
Millionen Menschen im deutschen Reichsteil haben an den Konflikten teilgenommen, darunter gelitten?
WEINFURTER: Mit Sicherheit eine große Zahl. Die vielen Kriegszüge und Scharmützel forderten ihren Tribut. Schon damals sprach man vom »Bellum civile«, was nicht hieß, dass Volksarmeen gegeneinander marschierten. Natürlich war es auch wichtig für die Menschen, auf welcher Seite ihr Herr stand. Ergriff er Partei für die falsche Seite, dann bekamen sie die Folgen zu spüren.
SPIEGEL: Fiel die Entscheidung für einen der Herrscher nur über Bestechung und Begünstigung?
WEINFURTER: Nein. Viele denken damals laut über die Frage nach: Was macht einen guten König aus? Welcher erfüllt die Erwartungen? Diese neue Debatte schlägt sich in den Liedern der Minnesänger nieder. Berühmt sind ja die spöttischen Verse des Walther von der Vogelweide über den Welfen Otto IV.: »Er ist zwar lang und groß und kräftig, aber klein und kümmerlich als König, und er wird immer kleiner, wenn man auf sein Wesen blickt.« Es ist auch die Zeit, in der an den Universitäten kritisches Denken eingeübt wird, die Suche nach der Wahrheit beginnt, und die Rechtswissenschaften werden als neues Fundament für die politische Ordnung entwickelt.
SPIEGEL: Welche Qualitäten sollte denn ein guter König damals haben?
WEINFURTER: Freigebigkeit, ganz wichtig. Gerechtigkeit. Und sicherlich an erster Stelle: die Friedenssicherung. Der König, dem es gelingt, Frieden im Reich und in der Kirche herzustellen, der wird allseits akzeptiert. Diese Chance ergreift Friedrich II., und deshalb haben auch die Fürsten das Interesse, gemeinsam mit ihm eine neue Rechtsgrundlage zu schaffen. So kommt es zu den Fürstengesetzen für das nördliche Reich und zum großen Mainzer Reichslandfrieden von 1235. Das ist wirklich ganz etwas Neues für das Mittelalter, dass der Kaiser sagt: »Ich bin dafür da, neue Rechtsgrundlagen aufzustellen.« Dazu gehört dann allerdings auch der berühmte »rigor iustitiae«, das heißt, dass die Gesetze mit aller Strenge angewandt werden.
SPIEGEL: Der Einfluss und die Befugnisse der deutschen Fürsten sind nun größer als je zuvor. Ist damals schon die Basis für unseren Föderalismus gelegt worden? Eine starke Zentralmacht ist ja die verhängnisvolle Ausnahme in der deutschen Geschichte geblieben.
WEINFURTER: Ja, die Gesetze Friedrichs II. bilden eine frühe erste Stufe unseres konföderativen Systems. Sie sind die Grundlage dafür, dass sich Gebiete mit eigener Staatlichkeit entwickeln. Auf ihnen fußen – über viele Stationen – spätere Territorien bis hin zu unseren Bundesländern.
SPIEGEL: Die Staufer, vor allem Heinrich VI., haben mit großer Energie versucht, das Erbkönigtum zu etablieren. Warum gelingt das nicht?
WEINFURTER: Die tieferen Ursachen dafür liegen im Investiturstreit mehr als hundert Jahre zuvor. Heinrich IV. gerät ja nicht nur mit dem Papst aneinander, sondern auch mit den Fürsten, die ihn 1077 absetzen. Das bringt unweigerlich die Frage, inwieweit die Fürsten auch den König »machen«.
Sie setzen ihn später noch ein zweites Mal ab und geben dann dem Sohn und Nachfolger, Heinrich V., 1106 klar zu verstehen: »Du wirst nur deshalb zum König erhoben, weil wir dich wählen. Du wirst nicht einfach jetzt König, weil du der Sohn des Vorgängers bist. Und wenn du dich so aufführst wie dein Vater, dann setzen wir dich auch wieder ab.« Die Fürsten betrachten das Recht der Königswahl bald als altes Recht, das sie nicht mehr abgeben.
SPIEGEL: Wie sehr haben sich die Staufer als Dynastie verstanden? Der heute geläufige Familienname wird von ihnen selbst anscheinend kaum verwendet.
WEINFURTER: Die alte Vorstellung, dass es in dieser Zeit klar gegeneinander abgegrenzte Dynastien gab, ist überholt. Barbarossa ist ja mütterlicherseits ein Welfe. Und Heinrich der Löwe, ein Welfe, unterstützt den jungen Kaiser viele Jahre lang, ehe es zum Bruch kommt. Auf der anderen Seite finden wir diese staufische Idee von einer »Kaiserfamilie«, einer »prosapia imperialis«. Gottfried von Viterbo, ein dem Hof gegenüber loyaler Geschichtsschreiber, erhob die Staufer zum letzten Geschlecht eines immerwährenden Weltkaisertums. Danach gibt es gemäß dem Willen Gottes auf Erden eine kaiserliche Familie, die man zurückverfolgen kann bis zu den Trojanern.
SPIEGEL: Friedrich II. sieht sich ja sogar als Nachfahre von König David. Trotzdem ist er der letzte Kaiser der Staufer, sie gehen nach seinem Tod
Weitere Kostenlose Bücher