Die Staufer und ihre Zeit
intrigierenden Königshäuser.
Richards Schmach veränderte die Machtbalance zwischen Frankreich, England und dem Stauferreich: Nicht durch eine ritterliche Schlacht, sondern durch dieses Ganovenstück kam Heinrich VI. auf den Höhepunkt seiner Macht. Er zwang Löwenherz zur Zahlung der ungeheuren Lösegeldsumme von umgerechnet 35 Tonnen Silber, rund das Dreifache der Jahreseinkünfte der englischen Krone, und unterwarf sich den englischen König als Lehnsmann. Es war »das Resultat schändlichen Drucks, schlecht, illegal, gegen kanonisches Recht und gute Gewohnheit, illegitim, null und nichtig«, schäumte der Richard-treue Chronist Radulf von Diceto. Was genau vor sich ging, schildert er nicht.
Auch Heinrichs Anhänger bleiben merkwürdig vage, als sei ihnen der ganze Vorgang peinlich. Die Inhaftierung eines gekrönten Hauptes, dessen gezielte Demütigung, die Zahlung einer riesigen Summe, die als »king’s ransom« in die englische Sprache eingegangen ist, kurzum: ein Jahrhundert-Verbrechen, aber nicht der Rede wert? Kein Wunder, dass sich bald Legenden bildeten.
Der Sänger Blondel de Nesle beispielsweise war zwar Zeitgenosse des Löwenherz, eine persönliche Beziehung erfanden aber erst die Mythenschmiede: Als treuer Diener Richards
soll Blondel von einer Burg zur anderen gezogen sein, stets ein Lied singend, das außer ihm nur sein verschollener Herr kannte. So schön ist die Geschichte, dass sie 2009 wieder auf einer 10-Euro-Gedenkmünze dargestellt wurde. Natürlich fand die tränenreiche Wiedervereinigung auf Burg Dürnstein statt, schließlich ist das Geldstück in der Serie »Sagen und Legenden in Österreich« erschienen.
Nichts an diesem herrlichen Märchen ist nachweisbar, bloß Richards offenbar ausgeprägte Liebe zur Musik. Ein Liedlein über die Erschwernisse der Haft ist überliefert; mag es auch nicht aus Richards Feder stammen, wie manche Historiker glauben, so gibt es doch gute zeitgenössische Quellen dafür, dass der Plantagenêt tatsächlich komponierte.
An dem anderen Mythos, mit dem Richard Löwenherz verbunden wird, stimmt nur eines: Der nach über 13-monatiger Geiselhaft endlich entlassene König hat dem berühmten Sherwood Forest, wo Robin Hood sein (Un-)Wesen getrieben haben soll, 1194 einen kurzen Besuch abgestattet. Es ging offenbar um Entspannung von harter Arbeit: die Belagerung der Festung Nottingham, wo sich Anhänger seines abtrünnigen Bruders Johann Ohneland verschanzt hatten. Die Festung fiel, Richard versöhnte sich mit Johann und verschwand wenig später für immer aus England Richtung Frankreich, wohin er von Herkunft und Lebensgefühl her gehörte.
Kaiser Heinrich VI. brach unterdessen gen Süden auf. Unterstützt von Soldaten aus Richards Armee, finanziert vom englischen Lösegeld-Silber, eroberte er die Königswürde von Sizilien für die Staufer. Die angestrebte Vereinigung der Insel mit dem Reich gelang ihm hingegen ebenso wenig wie die Sicherung der staufischen Erbfolge für den römischen Kaiserthron.
Ob ihm der Skandal um Richards Entführung nun doch schadete? Dem ebenso geschickten wie skrupellosen Machtpolitiker
Heinrich trauten jedenfalls bis zu seinem Tod 1197 weder Regenten noch Untergebene über den Weg. Und es sollte rund 140 Jahre dauern, bis sich erstmals wieder ein englischer König nach Deutschland wagte.
Richard Löwenherz starb 1199 im Kampf um eine Burg durch einen Armbrustbolzen. Geschichtsbewusste Briten ließen im 19. Jahrhundert für ihn ein Reiterdenkmal errichten, für das Königin Victoria immerhin 200 Pfund beisteuerte. Bis heute beschützt der König mit gezogenem Schwert das Parlament von Westminster. Nicht einmal die deutschen Fliegerbomben im Zweiten Weltkrieg konnten ihn vom Sockel stürzen.
KNIEFALL UND FRIEDENSKUSS
Wie mit Demutsgesten Politik gemacht wurde
Von Christoph Gunkel
Die Kardinäle sind misstrauisch und unruhig. In der italienischen Stadt Sutri betreten sie zusammen mit Papst Hadrian IV. das Lager des ehrgeizigen Staufer-Königs Friedrich I. Barbarossa. Argwöhnisch beobachten sie jede Geste des jungen Barbarossa. Plötzlich, so notierte es ein Chronist, brechen die Kardinäle in Panik aus, fliehen und lassen ihren Papst allein zurück.
Der ungewöhnliche Vorfall Anfang Juni 1155 war ein diplomatischer Eklat – und zeigt, wie hart umkämpft, hochsensibel und explosiv das Verhältnis zwischen Königtum und Papsttum damals war. Denn auf den ersten Blick hat nur eine Kleinigkeit die überstürzte Flucht
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