Die Staufer und ihre Zeit
ausgelöst.
Hoch zu Ross näherte sich an jenem Junitag in Sutri Papst Hadrian dem Staufer-Herrscher. Doch der tat nicht das, was die päpstliche Delegation von ihm erwartete – und was zuvor vermutlich genauestens ausgehandelt worden war: Friedrich nahm nicht die Zügel des päpstlichen Pferdes, um den reitenden Hadrian ein paar Meter zu führen. Er half dem Papst auch nicht beim Absteigen vom Pferd, indem er den Steigbügel hielt. Als die Kardinäle diesen Bruch der Abmachung sahen, befürchteten sie das Schlimmste. Eine Falle, eine Gefangennahme? Sie flohen – und verpassten den zweiten Teil des Eklats.
Denn anschließend kniete König Friedrich zwar demütig vor dem Papst nieder und küsste ihm die Füße. Dies war Teil
der gängigen zeremoniellen Respektsbezeugung. Doch jetzt brüskierte der Papst den König: Er verweigerte Barbarossa den üblichen Friedenskuss – und setzte damit seinerseits auf Konfrontation. »Weil du mir jene gewohnte und geschuldete Ehre entzogen hast«, soll er zornig gesagt haben, »werde ich dir nicht Genüge tun und dich nicht zum Friedenskuss annehmen.«
Wie konnte es zu diesem Affront kommen? Eigentlich hatte Friedrich allen Grund, den römischen Pontifex zu umgarnen, schließlich drängte er schon seit Jahren auf die Kaiserkrönung durch den Papst, und in Sutri sollte darüber verhandelt werden. Warum riskierte Friedrich dennoch den Streit?
Die Antwort wird verständlicher, wenn man sich die politische Kommunikation im Mittelalter als eine hochgradig symbolische Machtinszenierung vorstellt. So wie heute Wahlkämpfe für die Gesetze der Medien orchestriert werden und Diplomaten Staatsbesuche vorher monatelang aushandeln, folgten damals Hoftage, Kirchenfeste oder Vatikanbesuche ihren eigenen Regeln. Fußfall, Fußkuss oder Friedenskuss waren dabei nur drei wichtige Bausteine in einem Set an Ritualen, das sehr nuancenreich eingesetzt werden konnte. Bei all diesen Inszenierungen ging es letztlich um eines: Sie sollten auf dramatisch-sinnliche Weise das aktuelle Machtverhältnis vor Augen führen – sei es zwischen Papst und König, König und Herzog oder Herzog und Fürst.
Die Frage war stets: Wer war in dem konfliktträchtigen Kräftespiel zwischen Adel, Kirche und König unterlegen, wer gleichberechtigt? Wer saß beim Mahl in der Nähe der Mächtigen? Wer wurde öffentlich aufgewertet, brüskiert oder musste gar Reue zeigen? Dieser Logik der Inszenierungen folgend, warfen sich auch Adlige und Kaiser in den Staub. Sie tauschten Waffen und prachtvolle Kleider gegen Büßergewänder und entkleideten sich damit symbolisch ihrer weltlichen
Macht. Sie küssten demutsvoll Füße und Knie und baten tränenerstickt um Vergebung.
Solche Unterwerfungsrituale endeten in den Beschreibungen der Chronisten oft ähnlich: Der Überlegene wurde scheinbar spontan zu Tränen gerührt und ließ sich erweichen. Dann half er dem Niedergestreckten unter Beifall und Lobgesängen der Anwesenden vom Boden auf und bot ihm den Friedenskuss an. Das mehrte das Ansehen beider Seiten: Der Nachgiebige wurde für seine Milde gerühmt, der Reumütige erlangte sein Ansehen zurück. Machtpolitisch kehrte man wieder in die Situation vor dem Konflikt zurück – durch den Bußgang rettete der Unterlegene meist seine Ländereien und Ämter.
Diese Lösung entsprach ganz dem christlichen Weltbild: Auf Buße folgt Vergebung. Die Demutsgesten schadeten dabei selten dem Prestige der scheinbaren Verlierer. Mitunter gingen sie sogar gestärkt aus der Situation hervor, beispielsweise, wenn der König sie Ehrendienste ausführen ließ und sie damit aufwertete. Das alles geschah nur scheinbar spontan und war in Wahrheit zuvor detailliert ausgehandelt worden.
Schon zu Zeiten Karls des Großen sind solche Gesten belegt, doch sie veränderten sich im Lauf der Jahrhunderte – besonders radikal in der Ära der Staufer: Stand früher am Ende der Buße fast automatisch die Milde, so wurden nun die Zeiten für die Bittsteller unsicherer. Zu oft war Vertrauen gebrochen und die vorgebliche Demut nur als taktisches Mittel eingesetzt worden. Immer häufiger traten die Könige jetzt als Richter auf, die im Einzelfall entschieden, ob sie Milde walten ließen – oder ihre Gegner demonstrativ entehrten und hart bestraften.
Als etwa Barbarossa 1162 die aufständische Stadt Mailand eroberte, unterwarfen sich die Bewohner eine Woche lang dem Sieger. Das habe alle »heftig bis zu Tränen gerührt«,
schrieb ein Chronist, »aber der Kaiser
Weitere Kostenlose Bücher