Die Staufer und ihre Zeit
die Fürsten damals viel weniger in nationalen Kategorien dachten als in dynastischen Zusammenhängen. In Richards Fall kam hinzu: Der Rex Angliae, aufgewachsen auf den Besitztümern der Krone auf dem französischen Festland, mochte die kalte, regnerische Insel nicht sonderlich, sprach auch deren Sprache nicht. Sein Lebensmittelpunkt war das Angevinische Reich, dessen Herzogtümer sich von den Pyrenäen bis zur Normandie erstreckten.
Englands Bedeutung erwuchs aus der vergleichsweise wohlorganisierten Verwaltung, die regelmäßige Steuereinnahmen garantierte, und dem Prestige des Königs. So genoss Richards Vater Heinrich II., der von 1154 bis 1189 regierte, deutlich größere Macht als der König von Frankreich. Heinrich hatte mehr Land als sein Nachbar, auch wenn er ihm für die angevinischen Besitzungen Westfrankreichs formal als Vasall unterstellt war.
Dass Richard 1189 sein Reich in unsicherem Zustand übernahm, lag vor allem an den dauernden Rebellionen, mit denen er und seine Brüder den Vater gepiesackt hatten. Und an König Philipp II. August von Frankreich, mit dem er konkurrierte, aber auch immer wieder paktierte, 1187 zum Zeichen politischer Verbundenheit sogar demonstrativ einmal das Schlafgemach geteilt hatte.
Nun waren sie wieder einmal Verbündete: Die Christenheit rüstete zum Dritten Kreuzzug mit dem Ziel, das 1187 von Saladin eroberte Jerusalem zurückzugewinnen. Und wer war besser geeignet als Richard? Krieg habe für ihn »ein Vergnügen dargestellt«, glaubte der viktorianische Historiker und Bischof William Stubbs, »nicht zur Erlangung von Ruhm oder Gebietsgewinnen, sondern so wie andere Männer die Wissenschaften oder die Poesie lieben«.
Richards hohes Ansehen als Heerführer kam nicht von ungefähr: In einer Zeit, da bedeutende Herren ertranken wie Kaiser Friedrich Barbarossa oder an Krankheiten starben wie dessen Sohn Herzog Friedrich V. von Schwaben ein Jahr später, stürzte sich der Plantagenêt mitten ins Kampfgetümmel. So jedenfalls verzeichnen es seine Propagandisten. Und Richard muss den psychologischen Wert heroischer Geschichten genau kalkuliert haben. Wozu sonst hätte er sein berühmtes Schwert Excalibur mitgeführt, das der Sage nach einst in König Artus’ Besitz war? Bei einem Halt in Messina tauschte Richard die legendäre Waffe freilich gegen Nützlicheres ein: vier große Frachter und 15 Galeeren. Scharfe Schwerter gab es viele, Schiffe hingegen waren Mangelware.
Der leidenschaftliche Krieger verstand also etwas von Militärverwaltung und Strategie. Ein schlagkräftiges Heer, eine leistungsfähige Flotte, die Sicherung der Nachschubwege – keiner war so gut auf den interkontinentalen Krieg vorbereitet wie Richard. Schon deshalb fiel Löwenherz bei der
Belagerung der Hafenstadt Akko im heutigen Israel schnell die Führungsrolle zu. Er sei »der einzige englische König, der persönlich eine Führungsrolle auf der Weltbühne gespielt habe«, schreibt John Gillingham, Autor einer glänzenden Löwenherz-Biografie. Großherzig, tapfer, furchtlos, solche Eigenschaften räumen selbst die Kritiker unumwunden ein. Doch setzen sie auch Wörter daneben, die das allzu positive Bild einschränken: risikofreudig, leichtsinnig, arrogant.
Die deutschen Verbündeten habe der Plantagenêt »allesamt geringgeschätzt«, klagt ein anonymer Chronist. Als der rangälteste deutsche Fürst Leopold V., Herzog von Österreich, nach der Eroberung Akkos sein Banner keck neben den englischen und französischen Königs-Standarten aufpflanzte, ließ Richard das fremde Hoheitszeichen kurzerhand entfernen. Übermütige Söldner warfen es sogar in die Kloake des Burggrabens – eine kaum verzeihliche Ehrverletzung.
Das sollte sich noch rächen. Grollend reiste Leopold ab, ebenso wenig später Philipp II. August. Dem französischen König hatte Richard schon auf der Anreise ins Heilige Land eine schwere Beleidigung zugefügt, indem er die langgeplante Hochzeit mit Philipps Halbschwester Alice verweigerte. Stattdessen heiratete er unterwegs auf Zypern Berengaria von Navarra, um die südliche Flanke seines Reiches abzusichern.
Bei den Zeitgenossen kaum umstritten war hingegen, was aus heutiger Sicht Richards Image so trübt: das Massaker an rund 2700 Gefangenen vor den Toren von Akko. Das Gemetzel sei »sicherlich nur schwer mit dem von Richard bewusst gepflegten Bild eines vorbildlichen christlichen Ritters und Kreuzfahrers zu vereinbaren«, urteilt der hannoversche Mediävist Dieter Berg, Autor
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