Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
gestartet, der den Teletext aufs Smartphone bringt. Unter teletext.orf.at können die klobigen Inhalte, die eins zu eins wie aus dem Röhrenfernseher anmuten, mobil abgerufen werden. Das Angebot wird anscheinend rege genutzt.
Selbst die „Gelben Seiten“, jene kiloschwere Schwarte mit Branchenadressen, die mit dem Telefonbuch an alle Haushalte mit Festnetzanschluss ausgeliefert wird oder palettenweise auf Postämtern herumsteht, sind trotz der Konkurrenz durch das Internet noch ein funktionierendes Geschäftsmodell. 55 Millionen Exemplare werden jährlich davon gedruckt, die meisten davon landen direkt im Altpapier. Laut Angaben der Welt am Sonntag im Juli 2012 setzt die Branche der Branchenverzeichnisse rund 1,2 Milliarden Euro jährlich um, „und das relativ konstant bei sinkenden Nutzerzahlen“. Angeblich nutzen noch knapp 80 Prozent der Deutschen gern Nachschlageverzeichnisse auf Papier. Zudem laufe die App der Gelben Seiten auf über einer Million Smartphones.
Am anderen Ende der Innovationsskala gibt es Produkte, die hergestellt werden wie vor hundert Jahren – und Firmen, die gut davon leben, sich jedem Erneuerungsdruck hartnäckig zu widersetzen. Sie profitieren vom Luxus des Unzeitgemäßen, indem sie alte Handwerkstechniken und Herstellungsverfahren konservieren, die nach der Logik industrieller Massenproduktion obsolet erscheinen. Manufakturen und alte Gewerke wie Täschner, Sattler oder Kürschner erleben eine Renaissance. Der Manufactum-Katalog versammelt hunderte von Produkten aus kleinen Betrieben mit traditioneller Herstellung unter dem Rubrum „Es gibt sie noch, die guten Dinge“. Mitunter wird die Immunität gegen jedeForm der Veränderung gar zum Ausweis für überlegene Qualität. So wirbt die Luxusuhren-Manufaktur Vacheron Constantin mit dem Slogan: „Founded in 1755, on an island in Lake Geneva, and still there.“ Überhaupt ist die Renaissance mechanischer Uhren im Zeitalter von Quarz- und Digitaluhren ein eindrücklicher Beleg für die Beharrungskräfte alter Technologien, die nie gänzlich durch neue ersetzt und verdrängt werden.
Als die britische Radiostation BBC 4 im Jahr 2005 ihre Hörer befragte, welches die beste Erfindung aller Zeiten sei, gewann mit absoluter Mehrheit von 59 Prozent: das Fahrrad. Das Internet landete mit 4 Prozent der Stimmen abgeschlagen auf Platz sieben.
Will sagen: Arthur Rimbauds avantgardistische Forderung „Il faut être absolut moderne!“, man möge absolut modern sein, mag für die Kunst ihre Berechtigung haben – im Alltag und in der realen Geschichte wird kein Schuh daraus. Die Gegenwart ist immer ein Amalgam aus einer Zukunft, die noch nicht gleichmäßig verteilt ist, und einer Vergangenheit, die nicht vergangen sein will. Mehr jedoch Letzteres. Rolf Dobelli beschreibt in seinem neuesten Buch Die Kunst des klugen Handelns die Manie für das Neue – in Anlehnung an Nassim Nicolas Taleb die „Neomanie“ – als einen der typischen Irrwege, die man besser anderen überlassen sollte: „Jede Gesellschaft, die sich ihre Zukunft vorstellt, legtviel zu viel Gewicht auf die momentan heißesten Erfindungen, die aktuellen ‚Killer Apps‘. Und jede Gesellschaft unterschätzt die Rolle althergebrachter Technologien. Die 60er Jahre gehörten der Raumfahrt, also malten wir uns Schulklassenfahrten auf den Mars aus. In den 70er Jahren war Plastik angesagt. Also, dachten wir, würden wir in Zukunft in Plastikhäusern leben. Wir überschätzen systematisch die Rolle des Neuen.“
Das ist die Botschaft, die uns auch der britische Technik-Historiker David Edgerton mit seinem Augen öffnenden Buch The Shock of the Old vermitteln will: Wenn wir immer nur auf Innovationen starren, weil sie neu sind, statt darauf, wiesie benutzt werden, verfehlen wir den Punkt. Meist vergehen zwischen der Erfindung einer neuen Technologie und dem Höhepunkt ihres Gebrauchs Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Oft steckt in arrivierten Technologien auch heute noch mehr Potenzialals in medial hoch gehandelten Neuentdeckungen aus High-Tech-Labors. Ein Potenzial, das laut Edgerton verschenkt wird, weil uns allen zu viel Futurologie in den Knochen steckt: „In der New Economy, der neuen Zeit, in unserer postindustriellen und postmodernen Befindlichkeit ist anscheinend das Wissen um die Vergangenheit und Gegenwart immer wenigerrelevant. Selbst in der Postmoderne sind die Innovatoren ‚ihrer Zeit voraus‘, während die Gesellschaft noch im Klammergriff der
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