Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
Welt gebannt starrt. Umgekehrt hat vieles von dem, was im vergangenen Jahrzehnt unter dem Label „Innovation“ lief und die Kreativität der klügsten und am besten ausgebildeten Köpfe in den USA absorbiert hat, dazu beigetragen, die Welt ein Stück ärmer und schlechter zu machen: innovative Finanzprodukte wie „credit default swaps“ und „collateralized debt obligations“ nämlich, die die Weltwirtschaft an den Rande des Abgrunds gebracht haben.
Ganz ohne Wachstum werden wir die Gesellschaft der Zukunft nicht gestalten können, das räumen selbst Kritiker des Wirtschaftswachstums ein – zumindest nicht, wenn wir bei unserer demographischen Entwicklung den Lebensstandard halten wollen. Ihre Kritik bezieht sich darauf, dass der Wohlstand einer Nation einzig am Bruttoinlandsprodukt bemessen wird, bei dem jeder Autounfall positiv zu Buche schlägt. Sie fordern eine „steady state economy“, in der eine wachsende Wirtschaftsleistung von der Vernutzung fossiler Energien und materieller Ressourcen entkoppelt wird – was aufgrund der oben erwähnten Rebound-Effekte nicht allein dadurch zu erreichen ist, dass man die Effizienz steigert. Die einzigen Quellen für ein solches „qualitatives Wachstum“ sind die Hinwendung zum „Cradle to Cradle“-Prinzip sowie soziale Innovationen im Dienstleistungs-, Bildungs- und Gesundheitssektor: Mehr Lebensqualität durch immaterielle Wertschöpfung – und weniger Quantität im materiellen Konsum!
Insofern kann das Postulat der Stein-Strategie in der Wachstumsfrage nicht lauten: Verzicht und Stillstand. Vielmehr muss das Ziel sein: ein beharrlicher Umbau in dieser Richtung bei moderatem Wachstum. Zu erreichen ist es, indem wir François Jullien folgend das „Potenzial der Situation“ ausnutzen. Eine Blaupause dafür lieferte schon 1956 die an Marx und Keynes geschulte, leider etwas in Vergessenheit geratene Ökonomin Joan Robinson mit ihrem „Golden Age“ genannten Wachstumsmodell. In diesem Goldenen Zeitalter herrscht ein intakter Wettbewerb, die langfristige Wachstumsrate wird durch den technischenFortschritt und die Zunahme des Arbeitskräftepotenzials bestimmt. Die Reallöhne wachsen mit der Produktivität pro Beschäftigtem – was in Deutschland seit einer Dekade schon nicht mehr der Fall ist. Das kann doch eigentlich nicht so schwer zu verstehen sein.
Antifragilität
Ein Goldenes Zeitalter, wo der Fortschritt in gleichmäßigem gemächlichem Tempo fortschreitet wie ein langer, ruhiger Fluss – schön wär’s! Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so. Irgendwas ist immer. Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Dan Gardner zieht in Future Babble als Resümee aus der Analyse von Experten-Zukunftsprognosen: „Was am wahrscheinlichsten, oder gar sicher, erscheint, passiert nicht, während das, was passiert, etwas sehr Unerwartetes ist.“ Es wird immer externe Schocks geben, mit denen niemand gerechnet hat, und gefühlt häufen sie sich in letzter Zeit. Selbst wenn das Innovationstempo vielleicht nicht zugenommen hat, so doch die Volatilität der Märkte und damit die Schockanfälligkeit des Wirtschaftssystems.
Der gebürtige Libanese Nassim Nicholas Taleb hat selbst als Investor und Beraterfür Hedgefonds gearbeitet und ist damit reich geworden. Seine eigentliche Bestimmung sieht er aber darin, der Welt und insbesondere der Wall Street zu erklären, dass ihre Insassen in puncto Risikoanalyse auf dem Holzweg seien, bei stochastischen Wahrscheinlichkeiten vollständig im Dunkeln tappten und beim Verständnis des Zufalls in einer illusionären Scheinwelt lebten. Zum internationalen Star wurde er mit dem Buch Der Schwarze Schwan , das von der durchschlagenden Wirkung ausgesprochen unwahrscheinlicher Ereignisse und deren prinzipieller Unvorhersagbarkeit handelt. Es erschien 2007, ein Jahr, bevor mit der Pleite von Lehman Brothers eine Kettenreaktion in Gang kam, die genau in das „Schwarze Schwan“-Muster passte. Paradoxerweise brachteTaleb das die Reputation eines Sehers und Propheten ein, obwohl er genau darauf insistiert, dass man Schwarze Schwäne nicht vorhersagen könne. Er selbst sieht sich, manchmal etwas vollmundig, als Epistemologe, befasst mit der Zertrümmerung von Denkfehlern und falschen Gewissheiten.
Sein neuestes Werk, im Original heißt es Antifragile , erzählt davon, wie Systeme beschaffen sein müssen, um unerwartete externe Schocks nicht nur zu absorbieren, sondern daran zu wachsen – und es tritt all jenen
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