Die Stein-Strategie: Von der Kunst, nicht zu handeln (German Edition)
zu den begehrtesten Wohnlagen der Stadt, und die Bewohner machen mobil gegen die hereindrängende „Gentrifizierung“.
Der Schweizer Architekt Lukas Imhof geht an der ETH Zürich im Geiste von Lucius Burckhardt der Frage nach, warum die Menschen, wenn man ihnen die Wahl lässt, eine ganz andere Architektur schätzen als jene, die seit dem avantgardistischen Aufbruch des Bauhauses in Architekturzeitschriften propagiert und gefeiert wird. Midcomfort nennen er und sein Mentor Miroslav Sik ihren in einer gleichnamigen Zeitschrift und demnächst in Buchform entwickelten Ansatz für eine reformorientierte Architektur, die dem Avantgardistischen eine Absage erteilt und stattdessen die Abstimmung mit den Füßen ernst nimmt. Am Ende steht dabei eine behutsam traditionalistische Bauweise, die auf bewährte Lösungen, Grundrisse und Materialien setzt, wie sie Menschen mögen und in denen sie sich wohlfühlen – und die auf alles Spektakuläre bewusst verzichtet. Oft sind das Hölzer, Steine und Ziegeln, die aus der geographischen Region stammen, und eine Formensprache, die dort verwurzelt ist.
Ein Haus, das bereits hundert Jahre steht, hat gute Chancen, weitere hundert Jahre in Benutzung zu sein. Entsprechend positiv fällt die Gesamt-Energiebilanz aus, auch wenn es im Betrieb etwas mehr Energie verbraucht. Bei radikal neuen Öko- und Niedrigenergiehäusern weiß man noch nicht, wie sie sich bewähren, ob sie nicht in 30 Jahren schon wieder abgerissen werden müssen und dann die Deponien füllen.
Die Skepsis gegenüber der radikalen Methode Abriss und Neubau unter dem jeweils aktuellen Paradigma erstreckt sich nicht nur auf das Bauen. Viele gutgemeinte Initiativen, die heute unter dem hehren Ziel des Klimaschutzes und der CO 2 -Vermeidung angezettelt werden, verkennen, wie viel „Graue Energie“ bereits in der vorhandenen Substanz steckt und wie viel für den Ersatzaufgewendet werden muss. Die Abwrackprämie für Altautos als Anreiz für den Kauf sparsamerer Neuwagen war in dieser Hinsicht eine Katastrophe. Auch das Verbot konventioneller Leuchtmittel zugunsten quecksilberhaltiger Energiesparlampen erscheint so in einem anderen Licht. Bezieht man die „Graue Energie“ ein, fällt selbst die Umweltbilanz von Oldtimern, die nach 30 oder 50 Jahren immer noch auf den Straßen rollen, deutlich positiver aus. Umgekehrt muss bedenklich stimmen, dass es in Zukunft keine Old- oder auch Youngtimer mehr geben wird, weil alle ab ca. 1990 gebauten Autos mit derart viel versiegelter und verklebter Elektronik vollgestopft sind, dass kein Mensch sie jemals wird reparieren können.
Heutige Produkte bestehen im Durchschnitt nur aus 5 Prozent der Rohstoffe, die für den Prozess der Herstellung, Lieferung und Entsorgung benötigt und vernutzt werden. Der Chemiker Michael Braungart, der zusammen mit dem US-Architekten William McDonough das „Cradle to Cradle“-Konzept („von der Wiege zur Wiege“) entwickelt hat, sieht darin die größte Herausforderung für das Produktdesign – und nicht in der Optimierung energetischer Effizienz und der Minimierung des CO 2 -Fußabdrucks, worauf die gesamte Ökologiedebatte zwischenzeitlich zusammengeschrumpft war. Mit welchen Materialien designen wir Produkte, die nicht nur unschädlich sind, sondern sogar positive Nebeneffekte haben? Vor allem: Wie bekommen wirdie Rohstoffe und Ressourcen, die in den Produkten stecken, sozurück, dass sie schadlos wieder sowohl in den ökologischen als auch technologischen Produktionskreislauf eingespeist werden können?
Wichtigster Engpassfaktor ist nach Braungarts Sichtweise nicht Energie, sondern es sind Rohstoffe wie Seltene Erden, Buntmetalle oder Phosphor, das über die Düngung der Felder in den menschlichen Nahrungskreislauf gelangt und über die Kanalisation unwiederbringlich im Meer verschwindet. Es geht dabei nicht um Vermeidung und Verzicht: Die Menschheit soll getrost einen großen Fußabdruck haben, solange er sich im Stoffwechselkreislauf des Gesamtökosystems positiv abbildet.
Rethinking Innovation
Die Hauptkritik der „Cradle to Cradle“-Vordenker an der heutigen Warenwelt lautet, dass sie fehlende Eleganz durch schiere Kraftanwendung kompensiert. „Stünde die erste industrielle Revolution unter einem Motto“, schreiben Braungart und McDonough, „so würde es, wie wir gern witzeln, lauten: ‚Wenn rohe Gewalt nicht hilft, wendest Du nicht genug davon an.‘ Der Versuch, universelle Designlösungen einer unendlichen Zahl lokaler
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