Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
langsam redete, verstand Beatrice nicht einmal die Hälfte. Mühsam kramte sie in ihrem Hirn nach den Resten ihrer humanistischen Schulbildung, die immerhin schon etliche Jahre zurücklag. Schließlich erfasste sie wenigstens den Sinn seiner Rede. Das Mädchen sollte ihr beim Umkleiden und Frisieren helfen, dann würde er wiederkommen und sie abholen. Wohin sie jedoch gehen und weshalb sie sich umziehen sollte, hatte Beatrice nicht verstanden. Aber ihren mühevollen Versuch, ihn danach zu fragen, wartete er gar nicht erst ab. Noch bevor sie ihren Satz zu Ende gebracht hatte, hatte er bereits die Tür wieder hinter sich geschlossen und war verschwunden.
    »Dieser Idiot! Er hätte mich wenigstens ausreden lassen können!«, schimpfte Beatrice hinter ihm her. Dann wandte sie sich an das Mädchen, das bereits Tücher, Kämme, ein blaues Kleid, einen kleinen Flakon und sogar einen großen tönernen Krug und eine Schüssel aus dem Korb holte und sie ordentlich auf das Bett legte. »Danke, dass du mir beim Umziehen helfen willst, aber ich brauche deine Hilfe nicht. Ruhe dich so lange aus.«
    Das Mädchen lächelte sie zaghaft an und schüttelte den Kopf.
    »Ach natürlich, entschuldige. Du kannst mich ja nicht verstehen.« Beatrice stieß einen Seufzer aus. Wie lange hatte sie nun schon mit niemandem mehr gesprochen? Ihr kam es wie Tage vor. Sie hatte das dringende Bedürfnis, sich mit jemandem zu unterhalten. »Also gut. Was muss ich tun?«
    Das Mädchen zeigte ihr mit Gesten, dass sie sich ausziehen sollte. Während Beatrice das tat, goss die Kleine geschickt Wasser aus dem Krug in die Schüssel, gab ein paar Tropfen aus dem Flakon hinzu und begann Beatrice von Kopf bis Fuß zu waschen. Dann trocknete sie sie ab, rieb sie mit einem nach Rosen duftenden Öl ein und zog ihr schließlich das Kleid an, das sie mitgebracht hatte. Es sah ebenfalls mittelalterlich aus und hatte eine folkloristische Blumenstickerei am Ausschnitt, der nicht mit Knöpfen geschlossen, sondern mit Seidenbändchen zugeschnürt wurde. Das Kleid kratzte genauso wie der Schal aus handgesponnener Wolle, den Beatrice sich einige Wochen zuvor auf einem Mittelalter-Markt gekauft hatte. Womöglich stammte das Kleid sogar vom selben Markt.
    Als sie mit dem Anziehen fertig war, widmete sich das Mädchen Beatrices Haaren. Sie flocht ihr Zöpfe, die sie mit Spangen und Kämmen am Kopf feststeckte. Beatrice, die um ihre Haare kaum Aufsehen machte und meistens einen schlichten Pferdeschwanz trug, hätte zu gern einen Blick in einen Spiegel geworfen, aber leider hatte die Kleine keinen dabei. Sichtlich zufrieden betrachtete das Mädchen sein Werk und begann dann mit dem Aufräumen. Als sie jedoch Beatrices Kleid zusammenlegte, um es in den Korb zu packen, fiel der Stein aus der Tasche und auf den Boden. Sie bückte sich, um ihn aufzuheben – und wich im nächsten Augenblick mit einem Aufschrei zurück. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie abwechselnd den Stein und Beatrice an. Sie schien kaum noch atmen zu können. Doch dann sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus, und Beatrice vermochte sie gerade noch davon abzuhalten, vor ihr auf die Knie zu fallen und ihre Füße zu küssen.
    »Erzähl bitte niemandem etwas von diesem Stein«, sagte sie eindringlich, hob den Stein auf und legte einen Finger auf die Lippen. »Kein Wort, verstehst du?«
    Das Mädchen nickte eifrig und legte ebenfalls einen Finger auf die Lippen. Dabei strahlte sie über das ganze Gesicht, als wäre sie soeben dem Glück ihres Lebens begegnet.
    Beatrice war durch die Reaktion des Mädchens so verwirrt, dass sie fast den Sklavenhändler überhört hätte, der in diesem Moment die Tür öffnete. Er sprach sie wieder auf Lateinisch an, und soweit Beatrice ihn verstand, forderte er sie auf, mit ihm zu kommen. Sie folgte ihm widerstandslos. Was hätte sie auch tun sollen? Sie wusste noch nicht einmal, in welcher Art von Gebäude sie sich befand. Also ging sie hinter ihm her, bis sie schließlich einen kleinen Hof betraten. Dort stand etwas bereit, das wie eine Sänfte aussah. Es war ein großer, mit dichten dunklen Vorhängen verhüllter Kasten. Doch hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit den Sänften, die sie aus Filmen kannte. Es fehlten die kunstvollen Quasten und Troddeln oder anderer Zierrat. In der Tat war dieses Ding richtig hässlich. Und auch die beiden Männer, die vorne und hinten an den Tragegriffen bereitstanden, waren nicht die gut gewachsenen dunkelhäutigen Sklaven aus den Märchen

Weitere Kostenlose Bücher