Die Steine der Fatima
von Tausendundeine Nacht. Es waren muskelbepackte, kräftige Kerle, denen Beatrice lieber nicht im Dunkeln begegnet wäre.
Der Sklavenhändler drängte Beatrice in die Sänfte, deren Inneres bei weitem nicht so geräumig und komfortabel war, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Dann stieg er selbst hinein und schnalzte laut mit der Zunge. Beatrice spürte, wie die Sänfte angehoben wurde und sich die beiden Männer in Trab setzten. Wobei sie tatsächlich zu laufen schienen, denn sie wurde auf den harten, völlig verschlissenen Polstern hin und her gerüttelt und stieß mehrmals gegen den Sklavenhändler. Trotzdem versuchte sie etwas von den Geräuschen um sie herum mitzubekommen. Sie hörte zahlreiche Menschenstimmen, von denen einige wie Marktschreier klangen, die ihre Waren feilboten, das Blöken von Schafen, sogar Musikanten, die auf ihren Flöten und Trommeln orientalische Weisen spielten. Aber sie hörte nicht ein einziges Auto, nicht einmal eine Fahrradklingel.
Wahrscheinlich hatte man sie in eine Stadt irgendwo im Nahen Osten verfrachtet und trug sie nun durch die Altstadt, deren Gassen zu schmal für Autos und zu holprig für Fahrräder waren.
Nach einer Weile hielten die beiden Träger an. Beatrice war erleichtert, als der Sklavenhändler sie wieder aus der engen Sänfte zog und sie endlich ihre Glieder strecken konnte. Bevor sie sich umzuschauen vermochte, stieß er sie voran. Sie betraten ein Haus, wurden dort von einem alten hinkenden Mann, der offenbar an einer Hüftgelenksarthrose litt, durch einen kunstvoll gestalteten Innenhof geführt und in einen Raum gebracht, wo sie schon erwartet wurden.
Beatrice blieb vor Staunen fast die Luft weg. Überall lagen Orientteppiche; nicht nur auf dem Boden, zum Teil mehrere übereinander, sogar an den Wänden hingen Teppiche. Beatrice half zeitweise ihrer Tante, die eine Antiquitätenhandlung in Hamburg besaß. Sie hatte daher ein wenig Erfahrung und schätzte, dass allein die Teppiche an den Wänden etwa zwei Millionen Mark wert waren. Ansonsten war der Raum eher spärlich möbliert, ein paar niedrige Rosenholztische, auf denen Messingtabletts mit Früchten standen, sowie dicke reich bestickte Kissen, die auf niedrigen Vorsprüngen lagen und wohl als Sitzgelegenheiten dienten. Die Krönung des Ganzen, das Tüpfelchen auf dem »i« aber war der Mann, der mit untergeschlagenen Beinen auf dem höchsten Kissen saß und genüsslich aus einer winzigen Tasse einen Mokka schlürfte, dessen Duft den ganzen Raum erfüllte. Dieser Mann sah aus wie ein Sultan aus einem Märchenbuch. Er war beleibt, hatte einen sehr gepflegten graumelierten Vollbart, seidene Kleidung, bestickte arabische Pantoffeln und sogar einen Turban auf dem Kopf.
Während Beatrice ihren Blick schweifen ließ und sich an den Mustern der kostbaren Teppiche erfreute, merkte sie nicht, wie der Sklavenhändler eifrig auf den Mann einredete und dieser sie musterte. Als sie schließlich ihre Aufmerksamkeit wieder den beiden zuwandte, nickte der Hausherr zustimmend und reichte dem Sklavenhändler, der ebenfalls auf einem Kissen saß, die Hand. Dann öffnete er eine kleine Truhe, die neben ihm stand, und holte zwei lederne Beutel heraus.
Erst als der Sklavenhändler unter Verbeugungen und mit einem strahlenden Lächeln den Raum verließ, ohne Beatrice wieder mitzunehmen, begriff sie, dass sie gerade verkauft worden war.
3
Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina lag auf seinem Bett und träumte. Es war ein überaus angenehmer Traum. Er sah sich selbst als älteren Mann mit vollem, leicht ergrautem Haar und weißem Bart in einem Hörsaal in Bagdad, dem Zentrum der Gelehrsamkeit der Welt. Mehr als hundert wissbegierige Medizinstudenten saßen vor ihm, die einzig und allein seinetwegen aus allen Ländern der Welt gekommen waren. Gebannt hingen sie an seinen Lippen und saugten wie Verdurstende jedes einzelne seiner Worte in sich hinein. Es war so still im Hörsaal, dass man das Summen einer Fliege hören konnte, während er mit klarer, selbstbewusster Stimme über die Behandlung von Knochenbrüchen dozierte. Er war gerade beim interessantesten Punkt angelangt und berichtete über eine Methode, die er selbst entwickelt hatte, als das Geräusch von Schritten ihn plötzlich aufblicken ließ. Das Schlurfen der Pantoffeln auf dem glänzenden Marmorboden traf ihn in der Stille des Hörsaals wie ein Peitschenhieb. Eine Zeit lang versuchte Ali, nicht darauf zu achten, und fuhr mit seiner Vorlesung fort.
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