Die Steine der Fatima
sind; außerdem wird die Nachtluft mir gut tun.«
Ehe der alte Selim noch etwas sagten konnte, hatte Ali schon das Haus verlassen und eilte durch die engen Gassen von Buchara dem Palast des Emirs entgegen.
Der Morgen dämmerte bereits, und Ali wartete immer noch auf Nuh II. ibn Mansur oder eine Nachricht von ihm. Er war verärgert.
Dabei war der Eindruck, den die Eingangshalle des Emirs von Buchara vermittelte, überwältigend. Und niemand, der die Ehre hatte, hier auf den Emir warten zu dürfen, vergaß sie jemals.
Sie glich keinesfalls den Hallen anderer vornehmer Häuser und Paläste, sondern vielmehr einem blühenden Garten, überdacht von einem steinernen Baldachin aus zierlichen Rosetten und Ornamenten. Es duftete nach Rosen und Mandelblüten, nach reifen Pfirsichen und Granatäpfeln. Sogar eine Dattelpalme, die eigentlich in Buchara wegen der winterlichen Kälte nicht gedieh, wuchs hier. Die Luft war erfüllt von dem sanften Plätschern der vielzähligen Brunnen und dem Gezwitscher der kostbaren exotischen Vögel, die nun mit Anbruch des Tages zunehmend munterer wurden.
Doch Ali hatte keine Augen für diese Schönheit. Er war verärgert. Rastlos wanderte er zwischen den kunstvoll angelegten Beeten umher und fragte sich zum wiederholten Male, welches unerfreuliche Schicksal Nuh II. dazu bewogen hatte, ausgerechnet ihn, Ali al-Hussein, als seinen Leibarzt auszuwählen. Natürlich, trotz seiner Jugend war er der beste Arzt in Buchara. Aber sollte er dann nicht auch so behandelt werden? Sollte man ihn nicht in die innersten Gemächer des Emirs führen und dort mit Rosenwasser und Mandelgebäck bewirten, wenn man ihn denn schon warten ließ?
Durch das Dach der Halle konnte er das Licht der Morgendämmerung sehen, und fast im gleichen Augenblick erklang die klare Stimme des Muezzin, der mit seinem Morgengesang die Größe Allahs pries und die Gläubigen zum Gebet aufforderte. Ali spürte, wie der Zorn in heißen Wellen über ihn hereinbrach. Er war am Ende seiner Geduld. Vielleicht war es an der Zeit, dem Emir eine Lehre zu erteilen und Buchara auf unbestimmte Zeit zu verlassen? Er war doch nicht auf Nuh II. ibn Mansur angewiesen. Hatte er nicht ein stattliches Vermögen von seinem Vater geerbt? Außerdem gab es viele Fürsten im Lande der Gläubigen, die mit Freuden seine Dienste annehmen würden. Aber gab es auch andere Ärzte, die bereit waren, in den Dienst des Emirs von Buchara zu treten und das Wissen und die Fähigkeiten eines Ali al-Hussein ibn Abdallah ibn Sina besaßen? Wohl kaum.
Ali beschloss zu gehen. Sollte der Emir doch einen anderen Arzt holen lassen. Es gab genug Speichellecker in Buchara. Diese Stümper waren zwar kaum in der Lage, ein Fieber von einem Knochenbruch zu unterscheiden, aber sie würden ohne Zweifel geduldig und mit Freuden in der Halle ausharren und auf den erlauchten Herrscher warten, notfalls sogar mehrere Tage.
Gerade als er seinen Mantel wieder umgelegt und seine Tasche ergriffen hatte, trat ein Diener zu ihm heran.
»Herr, der Emir ist nun bereit, Euch zu empfangen. Folgt mir bitte.«
Ali hob spöttisch eine Augenbraue. Das klang, als hätte er um eine Audienz gebeten. Er schluckte jedoch die bissige Bemerkung hinunter, die ihm auf der Zunge lag, und schwieg. Der Diener hatte schließlich keine Schuld am unhöflichen Verhalten seines Herrn. Er tat nur, was ihm befohlen wurde. Aber während der Junge Ali durch zahlreiche Gänge führte, vorbei an reich verzierten Truhen aus edlen Hölzern und kostbaren Teppichen, überlegte er, mit welcher besonders unangenehmen Untersuchung er Nuh II. seine Wartezeit vergelten könnte.
Der Diener brachte Ali in einen Teil des Palastes, in den er noch nie vorgelassen worden war, und geleitete ihn schließlich in einen Raum, den der junge Arzt sofort als Schlafgemach des Emirs erkannte. Es sah aus, als hätte hier noch vor wenigen Augenblicken ein Kampf stattgefunden. Seidene Kissen lagen überall verstreut auf dem Boden, die Laken auf dem breiten Bett waren zerwühlt, und ein Teil des goldbestickten Baldachins hing in Fetzen herunter. Mitten im Raum, zwischen umgestürzten Messingvasen und Wasserbecken, stand Nuh II. ibn Mansur, der Emir von Buchara, und ließ sich von einem Diener die seidene Schärpe um seinen dicken Bauch binden. War der dunkle Fleck auf dem Teppich zu seinen Füßen nur Wasser, oder war es Blut? Verstohlen sah Ali sich um und erwartete, in einer Ecke des Raums einen leblosen, von einem Schwert durchbohrten Körper
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