Die Steine der Fatima
ruhig und gelassen neben Beatrice stand und mit einem Löffel und einer Gabel die Wunde offen hielt, damit sie diese seltsame Operation durchführen konnte, gingen ihm tausend Fragen durch den Kopf. Sie brannten in ihm, als würde ein Schmied glühende Eisen durch sein Herz treiben. Woher kannte Beatrice Saddin? Wo hatte der Nomade sie gefunden? Und wann? Hatte er sie noch ein paar Tage bei sich behalten? Wenn ja, was hatten die beiden miteinander gemacht? Hatte sie sich vielleicht schon öfter mit ihm getroffen? Warum ließ sich eine Frau, die in der Medizin so bewandert war, dass er sie nur dafür bewundern konnte, ausgerechnet mit so einem Kerl ein? Seit sie sich gemeinsam um die todkranke Sekireh gekümmert hatten, hatten sie viel miteinander geredet, hauptsächlich über Medizin. Sie hatten über verschiedene Erkrankungen und Behandlungen zum Teil hitzige Diskussionen geführt. Oft hatte Ali sich über ihren Starrsinn und ihre Besserwisserei geärgert – doch jetzt, genau in diesem Augenblick, wurde ihm klar, dass er die Streitereien mit ihr genossen hatte. Jetzt wusste er, dass Beatrice die Frau war, von der er immer geträumt hatte. Und er war davon ausgegangen, dass sie ebenso fühlte. Was also um alles in der Welt fand sie an einem Pferdehändler?
Ali sah Saddin ins Gesicht. Beatrice hatte dem Nomaden einen Großteil des noch verbliebenen Opiums eingeflößt. Jetzt waren seine Augen geschlossen, er befand sich im Opiumrausch. Dennoch zuckte er immer wieder vor Schmerz zusammen, und obwohl Beatrice seine Hand- und Fußgelenke vorsorglich ans Bett gefesselt hatte, mussten Selim und der Torsklave ihn mit aller Gewalt festhalten.
Alis Blick glitt weiter zu Saddins Händen. Bilder entstanden vor seinen Augen, die er am liebsten sofort wieder verdrängt hätte. Aber es gelang ihm nicht. Zorn wallte in ihm auf. Was hatte dieser Gauner, dieser elende Dieb mit seinen Händen angestellt? Was hatte er mit seiner Beatrice…
»Hallo, aufwachen, ich sehe nichts mehr!«
Ali zuckte vor Schreck zusammen, als Beatrice ihm ihren Ellbogen in die Rippen stieß. Unsanft packte sie das Gelenk der Hand, die den Löffel hielt, und zog daran. »So musst du es halten, klar?«, kam es gedämpft unter ihrem Tuch hervor.
Sie, die sich immer selbst um die geringste Form der Verschleierung drückte, hatte jetzt freiwillig ihr Haar und ihr Gesicht mit Tüchern verdeckt. Nicht, dass es Ali gestört hätte, aber er fragte sich, weshalb sie diesen Aufwand trieb. Was verband sie mit Saddin? War es etwa…
»Haltet die Spiegel höher!«, fauchte Beatrice die beiden Sklaven an, die schräg hinter ihr und Ali knieten. »Ich brauche das Licht nicht auf dem Boden oder an der Decke, sondern hier im Operationsgebiet!«
Stöhnend hoben die beiden die Spiegel wieder hoch über ihre Köpfe. Es waren kostbare runde Spiegel mit einem Rahmen aus Messing; sie waren etwa so groß wie Wagenräder und mindestens ebenso schwer. Wie lange mochten die beiden Männer diese Anstrengung noch durchhalten? Ali konnte sehen, dass die Arme des einen bereits zu zittern begannen. Wenn sie nun die Spiegel fallen ließen? Aber das konnte Beatrice ja egal sein, es war schließlich nicht ihr Vermögen, das auf solche Art vernichtet wurde. Ali sah wieder Saddin ins Gesicht, dessen Schönheit nicht einmal durch die schwere Erkrankung gemindert wurde. War das der Grund? Hatte sein angenehmes Äußeres Beatrice in seine Arme getrieben? War sie wirklich so…
»Ali, nicht schlafen!«
Beatrices fordernde Stimme drang in seine Gedanken ein. Gehorsam schnitt er den Faden durch, den sie ihm hinhielt. Für einen kurzen Augenblick wurde ihm bewusst, dass er gerade die Gelegenheit verpasste, einen absolut einmaligen Eingriff zu sehen. Er versäumte es, sich die Beschaffenheit der inneren Organe eines Lebenden anzusehen und sich von jemandem erklären zu lassen, der offenbar einiges davon verstand. Und alles nur wegen eines Nomaden, eines dahergelaufenen, ungebildeten Pferdehändlers. Ali ertappte sich dabei, dass er sich insgeheim wünschte, Saddin würde diese Operation nicht überleben.
»Wo um alles in der Welt bleiben die Tücher!«, stieß Beatrice zornig hervor. »Es müsste doch eigentlich möglich sein, irgendwo in diesem Haus noch saubere Tücher aufzutreiben!«
Ali schüttelte den Kopf und verlagerte das Gewicht von einem auf das andere Bein, das noch nicht durch das lange, unbequeme Hocken auf dem Boden eingeschlafen war. Das ganze Haus befand sich in Aufruhr,
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