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Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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weniger Sekunden hatte sie alles gefunden, was sie brauchte. Ein blitzblank geputzter kleiner Silberlöffel konnte ihr als Spiegel dienen; das kleine Messer, das neben einer Schale mit Orangen lag, war sicher scharf genug für die Koniotomie und machte einen zuverlässigeren Eindruck, als die seltsamen gebogenen Skalpelle des Quacksalbers; ein Gänsekiel, etwas dicker als ein Bleistift, konnte vorübergehend den Endotrachealkatheter ersetzen. Allerdings würde sie ihn ein wenig kürzen und vor allem desinfizieren müssen. Ihr Blick fiel auf eine kleine Öllampe. Gut. An der Flamme konnte sie die Instrumente wenigstens notdürftig sterilisieren.
    Sie wandte sich erneut der jungen Frau zu, deren Lippen mittlerweile fast die Farbe von Veilchen hatten. Hoffentlich ist es nicht zu spät, dachte Beatrice und legte der Patientin beruhigend eine Hand auf die schweißnasse Stirn. Die junge Frau sah sie angstvoll mit weit aufgerissenen dunklen Augen an. Das lange schwarze Haar klebte wie eine Badekappe an ihrem Kopf. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in der verzweifelten Anstrengung, Luft in die Lungen zu pumpen.
    Beatrice öffnete den Mund der Kranken und schob ihr ganz vorsichtig den Löffel bis zum Rachen. Sie konnte nicht viel sehen, da das einfallende Licht schwach war. Außerdem begann die junge Frau, sich zu wehren und zu würgen, sodass Beatrice den Löffel wieder zurückziehen musste. Aber dank ihrer Erfahrung hatten ihr die wenigen Sekunden ausgereicht, um den Fremdkörper zu entdecken, der ziemlich weit oben quer im Rachen steckte und die Luftröhre zum Teil verlegte. Offensichtlich hatte anfangs noch ausreichend Luft vorbeiströmen können, doch der Fremdkörper reizte das umliegende Gewebe, das mittlerweile ziemlich angeschwollen war. Falls diese Schwellung weiter zunahm, und das war zu befürchten, war es nur noch eine Frage von Minuten, bis die junge Frau gar keine Luft mehr bekam.
    Als hätte sie zeit ihres Lebens nichts anderes getan, entfernte Beatrice den Flaum vom Federkiel, kürzte ihn mit dem kleinen, erfreulich scharfen Obstmesser ein und hielt ihn einen Moment in die rußende Flamme der Öllampe. Dann erhitzte sie noch das Obstmesser.
    Der Arzt stand regungslos daneben, als wäre er zu Stein erstarrt. Erst als Beatrice den Hals der Patientin abtastete, kehrte das Leben in ihn zurück. Mit einem Aufschrei stürzte er sich auf Beatrice, als fürchtete er, sie wäre im Stande, der jungen Frau die Kehle durchzuschneiden. Er packte ihren Arm und versuchte ihr das Obstmesser zu entreißen, doch Beatrice gelang es, ihn von sich zu stoßen.
    »Was fällt Ihnen ein!«, rief sie erbost. »Wegen Ihrer Unfähigkeit ist sie in einem jammervollen Zustand. Und wenn Sie nicht wollen, dass sie stirbt, dann lassen Sie mich gefälligst meine Arbeit tun!«
    Die Patientin kam ihr zu Hilfe. Mit leiser, fast völlig erstickter Stimme sagte sie etwas, und der Arzt wich zähneknirschend einen Schritt zurück. Die junge Frau legte Beatrice eine Hand auf den Arm. Die Angst vor dem Unbekannten, das auf sie zukam, war ihr deutlich anzusehen. Dennoch lächelte sie Beatrice zu und schloss vertrauensvoll die Augen.
    Behutsam tastete Beatrice den Hals der Kranken ab, um die richtige Stelle für die Koniotomie zu finden. Die junge Frau zuckte vor Schmerz zusammen, als Beatrice das Messer ansetzte und mit einem kleinen, raschen Schnitt einen Zugang zur Luftröhre schaffte. Ruhig, mit geübten Griffen schob sie den Gänsekiel in die Öffnung. Hörbar strömte die Luft in die Trachea, und fast im gleichen Augenblick war der jungen Frau die Erleichterung anzumerken. Ihr Gesicht bekam wieder etwas Farbe, und zaghaft lächelte sie. Aber Beatrice war noch nicht fertig. Der Fremdkörper musste noch entfernt werden, bevor die zunehmende Schwellung dies unmöglich machte und eine Verletzung oder Infektion riskiert wurde. Sie winkte den Arzt zu sich heran, der fassungslos und staunend seine Patientin anstarrte, die mit dem Gänsekiel im Hals atmete und der es von Minute zu Minute sichtlich besser ging.
    »Kommen Sie, Herr Kollege. Halten Sie mal die Lampe, damit ich etwas sehen kann.«
    Ungeduldig drückte sie ihm die Öllampe in die Hand, wählte unter den Instrumenten eine kleine, leicht gebogene Zange aus, die ihr brauchbar erschien, und öffnete mit sanftem Griff wieder den Mund der Patientin.
    Beatrice schwitzte, als sie mit dem silbernen Löffel als Spiegelersatz und der museumsreifen Zange bei erbärmlichen Lichtverhältnissen im Rachen der

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