Die Steine der Fatima
Polster hinunter und setzte sich neben sie. Sie schenkte Wasser in ein Glas ein, reichte es Beatrice und bot ihr nach Mandeln duftendes Gebäck an. Die junge Frau sprach Lateinisch und nach einer Weile verstand Beatrice, dass sie Mirwat hieß und ihr offenbar danken wollte.
Beatrice sah sich den kleinen Schnitt an. Er war sauber vernäht, und der Arzt hatte ihn mit einer seltsamen, nach Kräutern duftenden Paste bestrichen. Auch wenn sie diese mittelalterliche Methode insgeheim belächelte, so sah die Wunde doch gut aus und schien sich nicht infiziert zu haben. Beatrice war erstaunt, wie schnell ihr das Latein wieder einigermaßen geläufig wurde, obwohl sie seit ihrem Abitur kaum noch damit zu tun gehabt hatte. Dennoch war es auf Dauer mühsam. Mirwat merkte schnell, dass die Unterhaltung Beatrice anstrengte. Als sie sich nach etwa einer Stunde voneinander verabschiedeten, sagte sie: »Morgen kommst du wieder zu mir. Ich werde beginnen, dich in unserer Sprache zu unterrichten.«
Erfreut stimmte Beatrice zu. Die junge Frau mit den lebhaften dunklen Augen war ihr sympathisch. Außerdem lagen ihr Tausende von Fragen auf der Seele – und Mirwat kannte vielleicht die Antworten.
5
Mirwats Genesung wurde mit einem rauschenden Fest gefeiert. Drei Tage lang waren die Dächer des Palastes und der Häuser in Buchara mit grünen Fahnen geschmückt. Blumengirlanden hingen vor den Fenstern, abends schwammen Talglichter in den Brunnen der Stadt, und von den Zinnen der Palastmauer regnete es Blumen und Münzen. Die Stimmen der Muezzin, die Allah für Mirwats Gesundung und die Großzügigkeit des Emirs dankten, hallten laut über die Dächer der Stadt hinweg.
Doch sosehr Mirwats unerwartete Genesung die Menschen in Buchara freute, so sehr wurde auch über die Hintergründe gerätselt. Von allen Seiten wurde Mirwat mit Fragen bestürmt. Jeder wollte wissen, wie Ali al-Hussein sie geheilt hatte, welche Arzneien und Kniffe er angewandt hatte, um sie vor dem sicheren Tod zu bewahren. Aber Mirwat schwieg hartnäckig und verriet mit keinem Wort, was wirklich in ihren Gemächern passiert war und wem sie ihre Heilung zu verdanken hatte. Natürlich hütete sich auch Ali al-Hussein, die Wahrheit preiszugeben. Zum Dank für Mirwats Rettung hatte er nämlich vom Emir ein Landgut vor den Toren Bucharas erhalten. Es war fruchtbares Land, mit ausgedehnten Obst- und Gemüseplantagen und einem herrlichen Haus. Und Ali dachte nicht daran, dieses Landgut und seinen Ruf zu verlieren.
Beatrice hingegen betrachtete die Ereignisse amüsiert aus der Distanz. Niemand dachte daran, sie zu fragen, und sie hatte kein Verlangen danach, die Dinge richtig zu stellen. Im Gegenteil, sie fand das allgemeine Rätselraten sogar überaus unterhaltsam. Bei ihrem täglichen Arabischunterricht erzählte Mirwat ihr von den neuesten Gerüchten, die im Palast die Runde machten. Noch Wochen später, als Beatrice bereits den meisten Unterhaltungen auch ohne Mirwats Hilfe mühelos folgen konnte, hörte sie, wie Diener, Soldaten, Beamte und sogar der Emir mit seinen Freunden darüber sprachen. Natürlich konnte sie diesen Unterhaltungen nur heimlich von der Galerie im Harem aus lauschen, durch die geschnitzten Fenstergitter vor Entdeckung geschützt. Schließlich war sie eine Frau, und die Teilnahme an den Gesprächen des anderen Geschlechts wäre einem Sakrileg gleichgekommen. Die Männer sprachen voller Ehrfurcht und Anerkennung von den außergewöhnlichen Fähigkeiten des Ali al-Hussein. Sie vermuteten hohe indische Heilkunst, geheimnisvolle Arzneien aus Ägypten, rätselhafte abessinische Rituale. Einige wenige erwähnten sogar Zauberei, aber das nur ganz leise und hinter vorgehaltener Hand, denn einen mächtigen und viel geachteten Mann wie Ali al-Hussein zu beleidigen, das wagten nicht einmal die höchsten Beamten des Emirs. Jedes Mal, wenn Beatrice von diesen wilden Vermutungen hörte, musste sie aufpassen, sich nicht durch lautes Gelächter zu verraten. Diese Einfaltspinsel! Was hätten sie wohl gedacht, wenn sie erfahren hätten, dass in Wirklichkeit nicht ihr weiser, hoch geschätzter Ali al-Hussein, sondern eine Frau Mirwat das Leben gerettet hatte? Wahrscheinlich hätte sie der Schlag getroffen.
Doch obwohl alle Beteiligten beharrlich schwiegen und selbst die hartnäckigsten Fragen nur mit einem Kopfschütteln oder einem milden Lächeln beantworteten, schien sich die Wahrheit irgendwie herumzusprechen. Wie Mirwat immer sagte: »Im Palast haben die
Weitere Kostenlose Bücher