Die Steine der Fatima
sie und begann, sie mit einem Schwamm abzuwaschen.
Beatrice schloss die Augen. Das Wasser duftete nach Rosen und hinterließ auch nach dem Abtrocknen das Gefühl von Reinheit und Frische auf ihrer Haut. Aber das Schönste war, dass sie sich wieder wie ein lebender, atmender Mensch und nicht mehr wie ein Geist fühlte.
Beatrice sah sich in ihrem Zimmer um, als hätte sie es noch nie zuvor gesehen. In der Tat hatte sie bisher weder die niedrigen Tische noch die Truhen mit den kunstvollen Schnitzereien, die Messingvasen oder Öllampen beachtet, die das Herz eines jeden Kunst- und Antiquitätenliebhabers hätten höher schlagen lassen.
Wie abgestumpft muss ich gewesen sein!, dachte sie erstaunt und ließ sich von dem Mädchen beim Anziehen helfen. Das Kleid, das die Kleine ihr reichte, war ein Traum aus einem hellblauen, im Licht silbern schimmernden Stoff. Es war lang, weit und ärmellos, und in allen Farben schillernde Steine verzierten den Ausschnitt. Die gleichen Steine fanden sich auch auf dem schmalen Gürtel und den flachen seidenen Pantoffeln wieder, die das Mädchen ihr reichte. Als sie fertig angezogen war, kam sie sich vor wie eine Prinzessin aus Tausendundeine Nacht.
Beatrice schüttelte verwundert den Kopf. Tage-, vielleicht sogar wochenlang hatte sie in tiefster Depression vor sich hinvegetiert. Nichts von der beeindruckenden Schönheit um sich herum hatte sie wahrgenommen. Erst die Wut über den unfähigen Kollegen und die Arbeit an der Patientin hatten es geschafft, sie aus dieser fürchterlichen Lethargie herauszureißen und ihr die Augen zu öffnen. Sie hatte nie gewusst, wie sehr sie ihre Arbeit brauchte.
Wie es wohl der Patientin gehen mochte? Ob der Arzt sich an ihre Anweisungen gehalten hatte? Beatrice wollte gerade das Mädchen nach ihr fragen, da klopfte es an der Tür. Ein anderes Mädchen, ebenso klein und dünn, trat herein. Sie sprach Beatrice an und gab ihr mit Gesten zu verstehen, mit ihr zu kommen. Ohne lange darüber nachzudenken, folgte sie ihr.
Als sie den Gang vor ihrer Zimmertür betrat, hielt sie erneut überwältigt inne. Sie stand auf einer Galerie, wie sie sie bisher nur in Filmen gesehen hatte. Zierliche Säulen und Bogen bildeten jeweils in Dreiergruppen ein Fenster. Diese Fenster waren jedoch nicht verglast, sondern ein Gitter aus kunstvoll geschnitztem und gedrechseltem Holz ließ Licht und Luft in den Gang hinein. Durch das Gitter hatte man einen freien Blick in einen blühenden Garten voller exotischer Blumen und Obstbäume, deren betörender Duft bis zu ihnen hinaufdrang. Wasser plätscherte aus golden schimmernden Rohren in mit farbenfrohen Mosaiken ausgelegten Brunnen. Zwei orientalisch gekleidete junge Männer, beide dunkelhaarig und hübsch, gingen, ins Gespräch vertieft, durch den Garten. Da hörte Beatrice leises Gekicher. Sie blickte auf und sah zu ihrer Linken vier junge Frauen, die sich ebenso wie sie selbst an das Gitter gestellt hatten und die beiden jungen Männer beobachteten. Ohne auch nur ein Wort Arabisch zu verstehen, war Beatrice klar, worüber die vier sprachen. Sie schwärmten von den beiden dort unten, regten sich gegenseitig zu Fantasien an und schienen es über die Maßen zu genießen, dass sie zwar die beiden sehen konnten, die jungen Männer jedoch von ihren Beobachtern nichts wussten.
Lächelnd folgte sie dem Mädchen. Es gab doch Verhaltensweisen, die bei allen Kulturen gleich waren. Während sie weiterging, begegnete sie vielen Frauen – alten und jungen, hübschen und hässlichen. Sie hatten alle orientalische Kleider an, und ihre langen Haare waren zu kunstvollen Frisuren geflochten. Keine von ihnen trug europäische Kleidung oder hatte die Haare modern kurz oder doch wenigstens halb lang geschnitten. Außerdem begegnete sie keinem einzigen Mann.
Aha, dachte Beatrice amüsiert. Da bin ich wohl in einen Harem geraten.
Das Mädchen führte sie zu einem Zimmer, das auf der gegenüberliegenden Seite der Galerie lag. Es klopfte an die schwere Tür, öffnete einen der Flügel und ließ Beatrice eintreten.
Eine junge Frau kam ihr mit ausgestreckten Armen entgegen, ergriff ihre Hände und küsste sie zur Begrüßung auf beide Wangen. Erstaunt erkannte Beatrice ihre Patientin wieder. Offenbar hatte sie sich innerhalb der wenigen Stunden gut erholt. Nur ein feiner Schal, den sie um den Hals trug, ließ erahnen, was sie gestern durchgemacht hatte. Die junge Frau führte Beatrice zu einem niedrigen Tisch, drückte sie auf eines der weichen
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