Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Steine der Fatima

Die Steine der Fatima

Titel: Die Steine der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
Vom Netzwerk:
jungen Frau herumwerkelte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals in ihrer medizinischen Laufbahn unter solch katastrophalen Umständen einen Eingriff vorgenommen zu haben. Die arme Frau keuchte und stöhnte, sie würgte und verkrampfte sich, Tränen liefen über ihre Wangen, und Beatrice wünschte sich nichts sehnlicher, als ein wenig Lokalanästhetikum, um ihrer Patientin diese Prozedur zu erleichtern. Endlich bekam sie den Fremdkörper mit der Zange zu fassen und zog ihn mit einer leichten Drehung vorsichtig hinaus. Noch einmal würgte die junge Frau, dann war es vorbei.
    »Hier haben wir den Übeltäter! Ein Dattelkern«, sagte Beatrice und wischte sich erleichtert den Schweiß von der Stirn. Der Eingriff konnte höchstens ein paar Minuten gedauert haben, ihr kam es wie eine Ewigkeit vor. Und sie wagte nicht, sich vorzustellen, was die Patientin durchgemacht haben mochte.
    Beatrice drückte dem Arzt den Dattelkern in die Hand und wandte sich wieder ihrer Patientin zu. Die junge Frau weinte und war sichtlich erschöpft, aber sie atmete ganz normal durch Mund und Nase. Gierig sog sie die Luft in ihre Lungen. Sie lächelte Beatrice zu, drückte ihre Hand und murmelte immer wieder dieselben Worte.
    »Schon gut«, sagte Beatrice in der Annahme, dass die Frau sich bedanken wollte. »Versuchen Sie jetzt ein wenig zu schlafen. Mein Kollege wird bei Ihnen bleiben.«
    Sie erhob sich und wandte sich an den Arzt, der immer noch fassungslos den Kopf schüttelte und nicht zu begreifen schien, weshalb die Patientin noch am Leben war. Beatrice kochte vor Wut.
    »Und nun zu Ihnen, Herr Kollege!«, sagte sie leise, sodass die junge Frau sie nicht hören konnte. »Ist Ihnen klar, was Sie da eben getan haben? Sitzen da und rühren keinen Finger. Das Mädchen hätte ersticken können! Haben Sie schon mal etwas von der Koniotomie gehört? Vermutlich nicht. Und so etwas nennt sich Arzt!« Sie seufzte und strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Nun, da Sie offensichtlich mit dieser Situation überfordert sind, werde ich Ihnen sagen, was zu tun ist. Sie werden die Patientin beobachten. Und wenn in der nächsten Stunde keine Komplikationen aufgetreten sind, können Sie den Gänsekiel entfernen und den Schnitt nähen. Außerdem geben Sie ihr etwas Abschwellendes zum Gurgeln. Dazu werden Sie doch hoffentlich in der Lage sein?«
    Damit ließ sie ihn stehen. Erst als sie wieder in ihrem eigenen Zimmer war, fiel ihr ein, dass er sie vermutlich gar nicht verstanden hatte.

    Am nächsten Morgen wurde Beatrice von leisen Geräuschen in ihrem Zimmer geweckt – dem Klappern von Metallschüsseln, dem Plätschern von Wasser. Sie schlug die Augen auf und erblickte über sich einen reich bestickten Baldachin aus schwerem sandfarbenem Stoff, der sich über ihrem breiten Bett spannte. Beatrice hatte den Eindruck, schon lange nicht mehr so gut geschlafen zu haben wie in dieser Nacht. Genüsslich rekelte sie sich auf den Laken, die sich anfühlten wie Seide, und streckte ihre Glieder. Dieses Bett mit den weichen, nach exotischen Blüten duftenden Kissen war so bequem, dass sie nicht den Wunsch hatte, es so bald zu verlassen. Und eines war sicher: So verrückt die ganze Geschichte auch klang, sie musste wirklich ein Opfer von Sklavenhändlern geworden sein, denn dieses luxuriöse Bett gehörte niemals in das Krankenzimmer einer psychiatrischen Station.
    Erleichtert über diese Erkenntnis, beobachtete sie ein junges Mädchen, das Wasser in ein großes Messingbecken goss. Ihre langen schwarzen Haare wurden von einem seidenen Band aus dem schmalen, hübschen Gesicht gehalten. Sie trug ein schlichtes knöchellanges Kleid, das in der Taille von einem Gürtel zusammengehalten wurde. Der einzige Schmuck bestand aus einem massiven goldenen Reif um ihren rechten Oberarm. Wie alt mochte sie wohl sein? Ihren dünnen Ärmchen nach zu urteilen war die Kleine höchstens elf. Aber ihre Bewegungen hatten die Sicherheit einer erwachsenen Frau. Und auch sie war niemals Angestellte einer psychiatrischen Klinik.
    Als das Mädchen fertig war, trat sie zu Beatrice an das Bett. Sie lächelte und schien sich offenbar ehrlich zu freuen, dass es Beatrice besser ging. Die arabischen Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, und es dauerte eine Weile, bis Beatrice begriff, dass die Kleine ihr beim Aufstehen behilflich sein wollte.
    Aber Beatrice schüttelte den Kopf, warf das Laken zur Seite und schwang sich aus dem Bett. Das Mädchen folgte ihr zu dem Messingbecken, entkleidete

Weitere Kostenlose Bücher