Die Steinernen Drachen (German Edition)
Zuckerschnäuzchen. Der Laden gehört schließlich immer noch mir.“
„Habe ich befürchtet“, meinte die blonde Bedienung und machte sich an die Arbeit.
Lockmann setzte sich auf seinen gewohnten Platz an die Bar und blätterte Papiere durch, die er in einer Aktentasche mitgebracht hatte.
„Inspektion“, flüsterte Frank zu Sylvia. Heute war ihm die Anwesenheit seines Chefs zuwider. Ilka hatte sich angekündigt und wie er sie kannte, würde sie ihn belagern und von der Arbeit abhalten. Es war Freitag, was bedeutete, dass viele Gäste zu erwarten waren. Er würde wenig Zeit haben mit Leuten zu quatschen, die etwas anderes wollten, als ihre Bestellungen aufzugeben. Vielleicht kommt sie ja nicht , betete er.
Der zweite Zwilling
27. Juni 2003
Die erste Besucherin der Bar war nicht Ilka. Seine Gesichtszüge entgleisten für Sekunden, als sie durch die Tür trat: Bettina Kreutzmann, der zweite Zwilling. Sie sah wütend aus, was sie unglaublich attraktiv machte. Zwischen ihren geschwungenen Augenbrauen hatte sich die Kreutzmannsche Vertikalfalte gebildet, die knapp über der Nasenwurzel endete. Ihre blauen Augen funkelten, die vollen Lippen zeigten sich verbissen und deuteten Unzugänglichkeit an. Ihren fraulichen Körper umhüllte ein schwarzes, tief dekolletiertes Sommerkleid, das ihrer Figur schmeichelte. Einige der männlichen Gäste unterbrachen ihre Unterhaltungen oder verloren bei ihrem Anblick den Faden, manche verschluckten sich an ihrem Bier, doch alle sahen ihr nach, wie sie durch die Tischreihen stürmte. An ihrer Mimik und Körperhaltung las er, dass sie nicht wegen Friedensverhandlungen kam. Zielstrebig eilte sie an die Theke und unbewusst machte er einen Schritt rückwärts. „Hallo Bettina“, grüßte er zögernd und zwang sich zu Lächeln.
„Was willst du von meinem Bruder? Lass ihn bloß in Ruhe!“, fauchte sie ihn an. Die Musik war laut, aber er wusste, dass jeder in der Bar ihre Worte verstanden hatte. Die Gespräche um sie herum verebbten zu einem Raunen. Olaf sah von seinen Papieren auf und zog eine Schnute.
„Was willst du trinken?“, fragte er und warf seinem Chef einen entschuldigenden Blick zu.
„Ich bin nicht hier, um was zu bestellen! Ich will dir den Kopf waschen und diese Flausen ausreden mit meinem Bruder über Lea zu sprechen.“
Er ignorierte sie und griff nach einem Cocktailglas. Bettina stemmte die Hände in die Hüften und knickte ihr Becken nach rechts. Er mixte in aller Gelassenheit einen Nordic Summer und sah dabei aus den Augenwinkeln, wie sie langsam zu schäumen begann. 90 Sekunden später stellte er ihr den Cocktail hin. „Dein Lieblingsdrink, soweit ich mich erinnere. Mit viel Eis. Hilft beim Abkühlen und geht aufs Haus. Außerdem habe ich schon mit deinem Bruder gesprochen.“
Die junge Frau fuhr zusammen und ihre Kinnlade sackte der Schwerkraft folgend, nach unten. „Du hast was?“
„Mit ihm gesprochen und glaube mir, es war weit weniger dramatisch, als du dir vorstellst. Er wird lediglich ein paar blaue Flecken davontragen“, erklärte er.
Sie griff sich in ihre vollen, dunkelblonden Locken, als wollte sie einem stechenden Kopfschmerz Einhalt gebieten. „Ich fasse es nicht! Du machst dir keinen Begriff davon, was er für ein Jahr hinter sich hat. Wenn du mit deiner unsensiblen Art alles wieder aufgewühlt hast, dann Gnade dir Gott!“
Es tat ihm weh zu sehen, wie sie sich da hineinsteigerte und er hätte gern ein paar tröstende Worte gesprochen. Aber hier in der Bar waren ihm die Hände gebunden. Außerdem musste er sie loswerden, um nicht noch mehr die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich zu ziehen. Unzählige Augenpaare starrten in ihre Richtung und Lockmann rutschte auf seinem Barhocker unruhig hin und her.
„Ich würde gern ein anderes Mal mit dir darüber reden. Hier ist nicht der richtige Ort. Warum kommst du nicht morgen Nachmittag bei mir vorbei? Wir gehen einen Kaffee trinken und ich höre zu. Wir können alles klären. Ich bitte dich darum! Um unserer Freundschaft willen oder was davon übrig ist.“
Bettina sah ihn lange an. Sie vermittelte den Eindruck, als ob sie die vielen Leute um sich herum vergessen hatte, genauso wie die Musik und die rauchige Luft. Ihre Augen wurden feucht und strahlten umso intensiver. Sie griff nach dem Cocktail, zog den Trinkhalm aus dem Glas und kippte ihn hinunter. Danach ging sie, ohne noch etwas zu sagen. Frank bewunderte die Bewegungen ihrer Hüften unter dem dünnen Stoff des Kleides, dann
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