Die Steinernen Drachen (German Edition)
er etwas sagen konnte, schob sie ihn auf dem Pfad vor sich her, den ihre Mitstreiter frei getreten hatten. Nach einer halben Stunde setzte der Regen ein. Heftig prasselte er auf das Blätterdach, vier Stockwerke über ihnen, Tropfen explodierten beim Aufprall und kamen als fein zerstäubtes Spray unten an. Schnell entstand ein undurchschaubarer Dunst, der eine Orientierung unmöglich machte. Am Boden sammelte sich das Regenwasser und rauschte ihnen in Bächen entgegen. Frank wünschte sich eine weitere Pause. Mitten im dichtesten Nebel trafen sie auf die Vorhut. Vorne flüsterte man miteinander, doch das Regenstakkato war zu laut, als dass er etwas verstehen konnte.
In seinem Nacken spürte er Ilkas Smaragdaugen. Ihre Präsenz, so dicht hinter ihm, trieb ihn weiter den Berg hoch. Die Medikamente ermöglichten es ihm, wieder einigermaßen klar zu denken. In den letzten 48 Stunden hatte ihn das Fieber daran gehindert. Er begann über Ilka zu grübeln. Genau wie er, jagte sie einen Dämon. Ihrer hieß Atomsprengkopf. Auch nicht besser als Feuerdrache. Ihm war klar, dass sie alles daran setzen würde, diesen Dämon auszutreiben. Dafür würde sie ihre Seele verkaufen, wenn dies nicht schon längst geschehen war. Darin stand sie ihm in nichts nach und daher konnte er ihr niemals vertrauen. Die Agentin hatte etwas mit ihm vor und das war gewichtiger als die fadenscheinige Erklärung, die sie ihm auf dem Boot gegeben hatte.
Mit dem Regen hörte überraschend der Dschungel auf. Sie hatten den ersten Bergsattel überquert und standen nun am Eingang eines weitläufigen Tals, dessen Ende sich im aufsteigenden Dunstschleier verlor. Terrassenförmig angelegte Reisfelder erstreckten sich, so weit das Auge reichte. Keine Menschenseele war zu sehen. Nur milchig schimmernde Reistümpel, unterteilt und abgetrennt durch Gras bewachsene Dämme. Fünfzig Meter links von ihnen graste eine Herde schwarzer Wasserbüffel. Einige der Tiere glotzen mit mahlenden Unterkiefern zu ihnen herüber. Keiner der CIA-Leute machte Anstalten, die beeindruckende Aussicht zu genießen. Sie marschierten einfach weiter, hinab in die Senke.
„Willkommen auf dem Xiangkhoang-Plateau“, meinte Ilka über seine Schulter hinweg. „Die Bergkette, die dort hinten aus dem Nebel ragt, sind die Drachenberge. Du bist fast angekommen.“
Mit zusammengekniffenen Augen starrte er in die Richtung, die sie ihm wies. Ein graues Bergmassiv begrenzte das Tal im Norden. Drachen aus Kalkstein, aufgetürmt durch den Kontinentaldrift. Schlafende Fabelwesen, die nicht den Eindruck erweckten, als würden sie sich jeden Augenblick erheben und in die Lüfte steigen. Gerade als das Gefühl der Enttäuschung einsetzen wollte, fing der Boden unter ihm an zu wanken. Die Drachen straften seinen Unglauben mit einem Erdbeben. Synchron gingen die CIA-Leute und Frank zu Boden. Das Wasser in den Reisfeldern sah urplötzlich aus, als würde es kochen. Die Büffelherde, die genauso überrascht schien, stob brüllend auseinander. Einige Tiere stürzten, andere stürmten aufgescheucht
den Hügel hinauf, genau auf den Einsatztrupp zu. Das Beben dauerte nur Sekunden, aber der Boden vibrierte weiter unter den Hufen der Büffel. Ian reagierte als erster und hechtete nach seiner Waffe, die ihm während der Erdstöße aus der Hand gefallen war. Aus der Drehung heraus feuerte er auf die näher stürmenden Kerabus. Zwei Tiere knickten ein und überschlugen sich in vollem Lauf. Schlamm spritzte auf, als die Büffel auf dem durchweichten Untergrund dahinschlitterten. Den aufgerissenen Mäulern der verendenden Büffel entwich dabei ein bis ins Mark erschütterndes Gebrüll. Einer der beiden Kerabus kam knapp zehn Zentimeter vor dem Iren zum Stillstand, wobei seine massigen Hörner dicke Grasnarben vor sich auftürmten. In einem letzten röchelnden Atemstoß besprenkelte er den Agenten mit dunkelroten Blutspritzern. Der Rest der Herde hatte nach dem ersten Schuss die Richtung gewechselt und war keine Gefahr mehr.
„Idiot“, fauchte Ilka, ehe Ian erleichtert zum Luftholen ansetzte. „Jetzt weiß das ganze Plateau, dass wir kommen.“
„Die hätten uns glatt überrannt“, verteidigte er sich. Ilka war bereits wieder auf den Beinen und sammelte ihre Ausrüstung zusammen. Sie trieb die anderen zur Eile an. Hier auf dem freien Feld waren sie auf dem Präsentierteller. Zwei Minuten später standen sie im Schutz eines Felsvorsprungs und spähten die Umgebung ab. Das Wasser in den Reistümpeln war wieder
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