Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Steinernen Drachen (German Edition)

Die Steinernen Drachen (German Edition)

Titel: Die Steinernen Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kern
Vom Netzwerk:
Donnerschläge hallten über das Tal. Noch wenige Augenblicke und die Zeit der Drachen würde anbrechen.
    Trotz Malaria und Fieberwahn wusste er plötzlich, was zu tun war. Er schaffte es auf seine wackligen Beine, warf noch einen besorgten Blick auf Lea und ihre Tochter, dann lief er los. So schnell es sein Zustand erlaubte, umrundete er den Felsblock. Ein toter Soldat im hohen Gras brachte ihn zu Fall. Er griff nach dessen Pistole und rappelte sich wieder auf. Der wankende Untergrund machte es ihm schier unmöglich, weiterzulaufen und er stürzte noch zweimal, bis er die Leiter erreicht hatte. Mit letzter Kraft bestieg er aufs Neue den Altar. Nguyen starrte ihn aus leeren, toten Augen an, als er sich über die Felskante zog. Kham lag nicht mehr unter seinem Beschützer. Doch er hatte keine Zeit darüber nachzudenken, wie sich der kleine, dürre Mann von dem Gewicht seines Bodyguards befreien konnte und wohin er verschwunden war.
    Tatnha Luang stand immer noch aufrecht nach Norden gewandt und tanzte in ihrem Drogenrausch. Frank zielte mit der Pistole auf sie. Sein verschwommener Blick verfolgte mit dem Lauf der Waffe ihre Bewegungen. Um klarer sehen zu können, wischte er sich über die Augen. Dann visierte er erneut den Drachen an, der auf ihrem Rücken lag und schief grinsend zurückgaffte, als wollte er ihn verhöhnen. Am Horizont erhoben sich dessen große Brüder aus ihren steinernen Gräbern und spien ihr Höllenfeuer in den schwarzen Himmel. Ein heißer Wind fegte durch die Ebene. Auf seiner Haut spürte er die Hitze und roch den Schwefel in der feurigen Luft. Der Lärm brachte sein Trommelfell an die Belastungsgrenze und doch war er nicht in der Lage, den Spuk zu beenden. Er konnte nicht auf die Frau schießen, die zwei Meter vor ihm ihren nackten Leib in den Himmel reckte. Mit Tränen im Blick senkte er resigniert die Waffe. Es war vorbei!
    Er hatte nicht die Kraft einen Menschen zu töten. Für einen kurzen Moment dachte er an seinen Traum, in dem er sich selbst geopfert hatte, um den Drachen zu besiegen. Muss das geschehen? Wird das von mir verlangt? Der Impuls, eine Bewegung in Chins Richtung zu machen, kostete ihm tatsächlich fast das Leben.
    Die Kugel pfiff an seinem Kopf vorbei, streifte dabei sein Haar und traf die Tätowierung. Durchschlug das Rückgrat der Prinzessin und pulverisierte ihre Seele. Die Wucht des Einschlags riss sie von den Beinen und schleuderte sie in weitem Bogen von dem Felsblock. Der Sog des Geschosses zerstäubte das spritzende Blut zu einer feinen Gischt, die sich in einem rosa Nebelschleier
    niedersenkte und sich als hauchdünner Film über den weißen Kalkfelsen legte. Winzige Tropfen Blut drangen über Kapillaröffnungen in den porösen Stein, der sogleich zu leuchten anfing. Einen Wimpernschlag später schoss grelles Licht aus dem Altar und überschwemmte das Tal mit einer blendenden Kaskade. Schützend nahm er die Hand vor seine Augen und wandte sich ab, um
    dem Lichtblitz zu entkommen. Der Länge nach klatschte er auf den Stein. Jegliche Kraft war aus seinem Körper gewichen und er wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, bis er es schaffte, seine Lider wieder zu öffnen. Oberhalb des Lagers sah er Lieutenant-Commander Wang, der noch immer sein Gewehr im Anschlag hatte.
    Er war nicht in der Lage, sich darüber zu wundern, warum Wang noch lebte. Er wusste nur, dass der Chinese letztlich doch seine Ehre gerettet hatte. Aus Wang war Yi der Bogenschütze geworden, der die Drachen vom Himmel geholt hatte.
    Eine unheimliche Stille hatte sich über die Hochebene gelegt. Ein paar Tropfen Blut reichten, um die Drachen zu besänftigen. Prinzessin Tatnha Luang, Tochter des Prinzen Souphanouvong und direkter Nachfahre des König Samsenthai war ihrer Bestimmung gefolgt und opferte den Untieren ihr Blut zum Wohle Laos’.
    Er blieb keuchend auf dem Altar liegen, musste die Augen verdrehen, um noch einmal den Himmel zu sehen. Gerne hätte er auch einen letzten Blick auf sein Kind geworfen, aber dafür reichte seine Kraft nicht mehr. In dem Bewusstsein, dass er seine Aufgabe erfüllt hatte, schloss er die Lider und wartete auf den Tod.
     
     
    Unter den Lebenden
    15. Juli 2003
    Die Ruhe war in das weitläufige Tal der Drachenberge zurückgekehrt. Der grollende Donner war nach Osten abgezogen und entlud sich nun über dem Grenzgebiet zu Vietnam. Durch die Löcher der Wolkendecke schimmerte tiefblau der Azur der Hemisphäre. Ein Schatten schob sich über Franks Gesicht und

Weitere Kostenlose Bücher