Die Steinernen Drachen (German Edition)
war so brav, als wüsste sie, in welcher Gefahr wir schwebten. Dann erbettelte ich mir ein paar Euro, was mit einem Neugeborenen auf dem Arm nicht schwer war, und rief Zhong an. Der wusste sofort, was zu tun war und schickte jemanden, der mich abholte. Ironie des Schicksals, wieder halfen mir Chinesen. Sie versorgten mich und das Kind, und ich blieb zwei Wochen bei ihnen. Ao hielt mich auf dem Laufenden. Er erzählte mir, dass Landsleute von ihm und auch die Amerikaner
wieder in Deutschland nach mir suchen würden. Und dass Kham in Stuttgart war. Da ahnte ich, dass man auch dich bald in die Fahndung miteinbeziehen würde. Sie wussten alle von dir und was uns verbindet. Also entschied ich, das Ganze zu beenden und nach Laos zu reisen, denn es blieb mir ja doch nichts anderes übrig. Ich muss mich den Drachen stellen, um diesen Wahnsinn zu beenden.“
Frank wollte etwas sagen, aber die Hitze in seinem Inneren hatte ihn schon zu weit vom Ufer der Realität entfernt und trieb ihn hinaus in den Fieberwahn. Er kippte zur Seite und zog seine Beine dicht an den schmerzenden Unterleib. Für einen Schluck Wasser hätte er seine Mutter verkauft, für Schmerzmittel sogar getötet. Sein Zustand verschlechterte sich von Minute zu Minute. Nach dem Feuer kam die Kälte, hüllte ihn ein wie flüssiger Stickstoff und ließ seine Zähne klappern. Wogen aus Lava wechselten sich ab mit Eisstürmen und er sehnte sich nach Erlösung.
Zeit der Drachen
15. Juli 2003
Nachdem alles vorbei war, konnte ihm niemand mehr sagen, wie oder warum er diese Nacht überlebt hatte. Als er wieder an die Oberfläche seines Bewusstseins drang, war er nicht länger in der Dunkelheit des Armeezelts. Wie weggeworfen lag er im hohen Gras, durch das eine angenehm kühle Brise strich und starrte in einen von Wolken durchwanderten Himmel. Am Rand seines Gesichtsfeldes ragten die Gipfel der Steinernen Drachen wie scharfe Reißzähne der Sonne entgegen. Vor ihm warf jemand verschwörerisch klingende Worte in einer fremden Sprache gegen die grauen Felswände. Die Erinnerung an einen finsteren Traum stellte sich ein. Er versuchte sich aufzurichten, schaffte es aber erst im dritten Anlauf seine Ellbogen unter den Oberkörper zu stemmen. Der Lauf eines Gewehrs schob sich vor seine Nase. Ein Anblick, an den er sich schon fast gewöhnt hatte.
Der Soldat, der ihn bewachte, schien sich für etwas zu interessieren, dass hinter seinem Rücken statt fand. Ungeachtet der Waffe wälzte er sich auf den Bauch und hockte sich auf die Fersen. Die Gelenke schmerzten und seine Innereien fühlten sich an, als würden sich Piranhas daran satt fressen. Doch er biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich darauf, seine Iris scharf zu stellen.
Man hatte eine Aluleiter an den Steinquader gelehnt. Nicht gerade stilecht für eine Zeremonie, die 600 Jahre überdauerte! Sein Blick wanderte die Sprossen hoch. Der Winkel war ungünstig. Über die scharfe Kante hinweg konnte er gerade noch Kham erkennen, der in einen weiten, schwarzen Kaftan gehüllt war und beschwörend seine dürren Arme in den Himmel reckte.
Mit flüchtigem Blick nach rechts bemerkte Frank, dass der Capitaine und der Alte keine drei Meter entfernt von ihm saßen. Jeder hatte einen Bewacher im Rücken. Aki Rha schien es besser zu gehen. Auch er hat die Nacht überlebt , dachte er, dann stand er auf. Das Gewehr blieb auf seinen Kopf gerichtet. Er ignorierte die Geste des Soldaten, genau wie die Schmerzen in seinem Körper und versuchte die Szene zu erfassen, die sich ihm auf dem Felsblock darbot.
Neben dem Geheimdienstchef stand Nguyen. Etwas abseits kauerte Lea, die Arme schützend um ihr Kind gelegt. Kwan Kham hatte seine Nagerfresse nach Norden gewandt, zeigte ihm seine Kehrseite und spie unentwegt abgehakte Silben in den Wind. Daneben stand Chin mit hochgestecktem Haar, in ein weißes Seidengewand gehüllt, dass mit blutroten Blüten bemalt war. Ihr Blick war gleichwohl auf die Gipfel der Drachenberge gerichtet. Die Zeit der Drachen war gekommen!
Xieng und Rha hatten es ihm gleich getan und gewagt sich zu erheben. Alle anderen im Lager richteten ebenfalls ihre Augen auf das Schauspiel und selbst sein bewaffneter Schatten schielte immer wieder an ihm vorbei, um die Zeremonie andächtig zu verfolgen.
Er überlegte, ob er diese Unachtsamkeit für sich ausnutzen sollte. Doch bei seiner körperlichen Verfassung erübrigte sich der Fluchtgedanke. Die Beine waren weich wie Wachs und er hatte Schwierigkeiten,
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