Die Steinernen Drachen (German Edition)
raus!
Er horchte, konnte aber nichts vernehmen. Mit wenig Erwartung zog er an der Verriegelung des schweren Tores. Nach geringem Widerstand schwang es zu seiner Überraschung rumpelnd, aber doch mühelos auf. Die Chinesen hatten sie nicht eingeschlossen. Das machte ihn stutzig, denn die drei verhielten sich in allem absolut professionell, als hätten sie seit Jahren nichts anderes getan. So stellte er sich Elitesoldaten, Geheimpolizisten oder irgendwelche Agenten vor. Und dann diese Patzer? Sie banden ihn los und vergaßen das Tor abzuschließen. War das möglich?
Wiegand hing schwer an seiner Seite, als sie den aufgeweichten, schlammigen Platz überquerten. Sein Atem ging rasselnd. Sie erreichten die Straße. Auch auf der anderen Seite lag nur Brachland und vereinzelt baufällige oder verfallene Hallen, die von Unkraut überwuchert wurden. Rechts führte die schmale Straße in einen Wald, links erstreckte sich ein langgezogener Berg. Was dahinter war, blieb im Verborgenen. Er versuchte sich zu erinnern, wie lange sie gefahren waren, erkannte aber schnell, dass er es nicht einschätzen konnte. Trotzdem vermutete er, dass sie südwestlich von Stuttgart waren. Der Regen hörte auf. Die Sonne kehrte intensiver als vor dem Schauer zurück und das Wasser verdunstete ringsum. Überall stieg Nebel auf. Franks und Wiegands durchgeweichte Sachen fingen an zu dampfen. Die Kälte wich aus seinen Knochen und kurz darauf war ihm wieder heiß.
Um nicht noch länger hier herumzustehen, schlug er den Weg nach links ein, denn er wollte nicht in den Wald, nahm lieber den Berg in Kauf. Sein Albtraum saß ihm noch im Gedächtnis. Er schleppte Wiegand die Straße entlang, auf der nach zehn Minuten immer noch kein Fahrzeug vorbeigekommen war. Der Tätowierer nuschelte wirres Zeug vor sich hin. Frank hingegen brannten mehrere Fragen auf den Lippen: Was passierte, nachdem man mich niederschlug? Wie lange war ich ohnmächtig? Warum verschwanden die Chinesen und warum war ich nicht mehr gefesselt? Von seinem Begleiter würde er keine Antwort darauf bekommen. Es machte den Eindruck, dass der Mann endgültig dem Wahnsinn verfallen war und er verübelte es ihm nicht. Die Ereignisse überschlugen sich und manches war selbst für seinen Verstand nicht mehr fassbar.
Wie passen diese Chinesen ins Bild? Sie waren hinter der Tätowiervorlage des Drachen her, die Lea im letzten Jahr Wiegand hinterließ. Er tätowierte ihr den Drachen in die Haut, wurde aber damit nicht fertig, da Lea zu ihrem letzten Termin nicht erschienen war. Stattdessen kamen die Chinesen und er ging davon aus, dass es dieselben waren, die ihn entführt und verhört hatten. Alles deutete darauf hin, dass diese Männer verhindert hatten, dass Wiegand sein Werk auf Leas Rücken vollenden konnte. Drachen sind in China alleinig für den Kaiser und dessen Familie reserviert sind. War das der Grund, warum man alles daran setzte, dass sich Lea den Drachen nicht fertig tätowieren lassen konnte? Er fand diese Überlegung unsinnig, zumindest für abendländische Gedankengänge. Gibt es tatsächlich eine Art chinesische Tattoopolizei, die darauf achtet, dass sich normal Sterbliche keine Drachen tätowieren lassen? Ungläubig schüttelte er den Kopf. Das war absurd, aber die Schmerzen in seiner Schulter dagegen real.
Endlich waren sie auf der Kuppe und er überblickte die sonnenbeschienene Gegend. Rechts von ihnen, etwa fünf Kilometer entfernt, entdeckte er einen größeren Ort. Dazwischen lagen verstreut einzelne Häuser in der Landschaft. In der Ferne schimmerte das graue Band der Autobahn. Doch zu einer eindeutigen Orientierung waren die geographischen Hinweise zu bescheiden. Der aufsteigende Dampf des verdunstenden Regens tat sein übriges dazu. An einer Bushaltestelle, dreißig Meter unter dem Scheitelpunkt des Hügels, stand ein Taxi. In seiner Situation dachte er nicht darüber nach, was der Wagen mitten im Niemandsland verloren hatte, sondern zerrte Wiegand dorthin. Der Taxifahrer sah sie im Rückspiegel, stieg aus und blickte ihnen entgegen. Frank hätte eine Wette abgeschlossen, dass er sie nicht mitnehmen würde. Sie waren nicht nur durchnässt, sondern auch dreckig und trugen blutige Blessuren. An seiner Stelle hätte er eher die Flucht ergriffen, doch der Fahrer blieb standhaft. Der Mann sah ihm zu, wie er Arm in Arm mit Wiegand über die Straße wankte. „Gleich steigt er ein und fährt weg!“, murmelte er.
Doch zu seinem Erstaunen sagte der Taxifahrer: „Da sind Sie
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