Die Steinernen Drachen (German Edition)
Schmerzen kaum bewegen. Entsetzt betrachtete er im Badezimmerspiegel die vielen blauen Flecken und roten Striemen an seinem Körper. Die dick verkrustete Wunde über seinem Auge hätte womöglich genäht werden müssen, aber dafür war es nun zu spät. Notdürftig klebte er ein Pflaster darüber. Danach zog er sich schnell an, um die Blessuren zu bedecken. Am liebsten wollte er vergessen, was gestern passiert war, aber längst war er zu tief eingetaucht in dieses grausige Ränkespiel, war er ein Teil davon geworden. Es blieb nur noch herauszufinden, wie seine Position darin zu gewichten war. Welche Rolle man ihm zugedacht hatte?
Die Türglocke lenkte ihn von seinen Überlegungen ab. In banger Erwartung nahm er seinen Geldbeutel und rannte, so schnell es seine Verletzungen erlaubten, die Treppe hinunter. Der Briefträger grinste ihn blöd an, als er die Haustür öffnete. „Ein Brief per Nachnahme.“
Frank riss den Umschlag an sich und bezahlte das Porto. Keine Minute später breitete er die Zeichnung des Drachen auf dem Tisch aus und streifte sie glatt. Ohne lang zu überlegen, holte er den Skizzenblock aus einer Schublade und fertigte eine Kopie an. Darin war er ein Könner. Er brauchte nicht lange, um sie eins-zu-eins umzusetzen. Durch den stärkeren Strich und die besser ausgearbeiteten Schattierungen bekam der Drache auf der Kopie noch eine intensivere Ausstrahlung. Wie würde er erst wirken, wenn er in Farbe war?
Zufrieden mit seiner Arbeit, steckte er Wiegands Abdruck in den Umschlag zurück. Er hatte das Bedürfnis sie sicher zu verstecken, fand aber keinen passenden Platz und schob die Zeichnung letztlich unter seine Matratze. Die Kopie nahm er mit.
Sein schmerzender Körper hatte ihn früh aus dem Bett gejagt und seitdem wartete er sehnsüchtig auf einen Anruf von Doktor Ngo. Da er ihr seine Handynummer gegeben hatte, war es nicht zwingend notwendig in seiner Wohnung auszuharren. Er fuhr hinunter in die Stadt und setze sich vor das Café am Alten Postplatz . Im Schatten des Sonnenschirms konnte man den Tag ertragen. Mit dem Blick zum Geschehen beobachtete er eine Weile das Treiben am Eingang der Fußgängerzone und schlürfte seinen Milchkaffee. Er empfand es als eine Wohltat, endlich einmal seinen Kopf zu lüften und nicht über die Ereignisse der letzten 24 Stunden zu grübeln. Natürlich wollte ihm dies nicht zu hundert Prozent gelingen. Die schmerzhaften Blessuren hielten ihm die Erinnerung an den gestrigen Tag mit jedem Atemzug vor Augen. Trotzdem versuchte er abzuschalten. Finde dein Zentrum, lass das Ki fließen!
Der Anruf weckte ihn aus seiner versuchten Meditation. Doktor Ngo klang wie immer freundlich und zuvorkommend. Sie verabredeten sich bei einem Italiener in der Innenstadt zum Mittagessen. Da ihm noch eine gute Stunde bis zu ihrem Treffen blieb, entschied er, noch etwas durch die Stadt zu schlendern. Er drehte sich um und rief nach der Bedienung. Als er wieder zur Straße sah, saß Kommissar Meinhans an seinem Tisch. Frank machte ein erschrockenes Gesicht.
Der Polizist schmunzelte. „Ich wollte Sie nicht erschrecken,
oder ist das Ihre gewohnte Reaktion, wenn Sie meinesgleichen treffen?“
„Immer einen Scherz auf den Lippen“, kommentierte er, während sein Pulsschlag sich langsam wieder senkte. Aufs Neue wunderte er sich darüber, wie man bei dieser Hitze einen Mantel tragen konnte. Zudem machte der Kommissar nicht den Eindruck, darin zu schwitzen.
„Was haben Sie mit Ihrem Gesicht gemacht?“
Er tastete intuitiv nach der Schwellung am Auge und wünschte sich eine Sonnenbrille, selbst wenn die größte Brille das Pflaster über der Augenbraue nicht verdecken würde. „Bin gegen eine Tür gelaufen. Kennen Sie diese heimtückischen Glastüren, die man nicht sieht, wenn sie zu sind ...“
„Sieht nach Schlägen aus“, fiel ihm der Kommissar ins Wort. „Haben Sie Schwierigkeiten, von denen ich wissen sollte?“
„Ich sagte Ihnen doch, es war eine Tür. Wie kommen Sie in Ihrem Fall voran?“, fragte er, um von dieser unangenehmen Sache abzulenken.
Meinhans überlegte, ob er weiter bohren oder sich auf den Themenwechsel einlassen sollte. „Das Bild vervollständigt sich Schritt für Schritt“, erwiderte er. „Haben Sie heute schon Zeitung gelesen?“
„Spielen Sie auf etwas Bestimmtes an?“, fragte er vorsichtig. Auch wenn er nicht so aussah, Meinhans war ein Fuchs. Er würde jedes seiner Worte auf die Goldwaage legen.
„Das Chinesensterben in der Gegend geht
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