Die sterblich Verliebten
abhängt. Ich erzähle es dir der Umstände wegen, mehr nicht. Es macht mir keinerlei Freude, wie du dir denken kannst. Was Ruibérriz und ich getan haben, war kein Zuckerschlecken, und es ist ebenso eine Straftat wie ein Mord. Ja technisch gesehen war es nichts anderes, und Richter oder Geschworene wird unser eigentliches Motiv nicht im Geringsten interessieren, und wie sollten wir auch beweisen, dass es dieses und kein anderes gewesen ist. Sie urteilen über Tatsachen, und die sind tatsächlich so und nicht anders, deshalb sind wir erschrocken, als Canella zu reden begann, über die Anrufe auf dem Handy und so weiter. Es war verhängnisvoll, dass du uns neulich gehört hast, oder, besser gesagt, ich war so unbesonnen und habe es möglich gemacht. Danach hast du dir dann ein falsches, ungenaues Bild von den Umständen gemalt. Das gefällt mir natürlich gar nicht, auch nicht, dass dir die entscheidende Information fehlt, wie sollte mir das gefallen. Deshalb erzähle ich es dir persönlich, denn du bist kein Richter, du kannst verstehen, was dahintersteckte. Danach liegt es an dir. Du wirst wissen, was du mit der Geschichte anfängst, auch das ist wahr. Aber wenn du nicht willst, fahre ich nicht fort, zwingen werde ich dich nicht. Ob du mir glaubst, liegt nicht in meiner Hand, also sag du mir, ob wir das Gespräch jetzt beenden sollen. Da ist die Tür, wenn du meinst, schon alles zu wissen, und nichts mehr hören willst.«
Aber ich wollte mehr hören. Wie gesagt, bis zum Schluss, um zum Ende zu gelangen.
»Nein, nein, erzähl weiter. Entschuldige«, lenkte ich ein. »Erzähl weiter, sei so gut, jeder hat ein Recht darauf, angehört zu werden, ist doch selbstverständlich.« Und ich gab diesem letzten ›selbstverständlich‹ einen Hauch von Ironie. »Er hat dir diese Frist wozu gegeben?«
Ich merkte, dass mich bei Díaz-Varelas gekränktem, beleidigtem Tonfall Zweifel beschlichen, auch wenn sich dieser Ton besonders leicht simulieren oder nachahmen lässt, fast jeder Schuldige greift sofort auf ihn zurück. Die Unschuldigen natürlich auch. Mir wurde bewusst, je mehr er erzählte, desto mehr Zweifel würde ich haben, ohne sie würde ich nicht von hier fortkommen, das ist das Schlimme, wenn man die Leute reden und sich erklären lässt, und oft will man sie daran hindern, damit man sich seine Gewissheiten bewahren kann und kein Raum für den Zweifel bleibt, das heißt, für die Lüge. Oder für die Wahrheit. Er ließ sich etwas Zeit, bevor er antwortete oder den Faden wiederaufnahm, und kehrte dann zum vorigen Ton zurück, dem des Kummers oder der rückblickenden Verzweiflung, eigentlich hatte er ihn gar nicht aufgegeben, ihm nur flüchtig einen beleidigten hinzugefügt.
»Miguel bedrückte nicht so sehr der Gedanke, zu sterben, sofern man das, versteh mich recht, von jemandem behaupten kann, der gerade mal fünfzig wird und mit dem es das Leben gut gemeint hat, mit kleinen Kindern und einer Frau, die er liebt oder, ja, sagen wir ruhig, in die er verliebt ist, ja. Natürlich war es eine Tragödie, wie sie es für jeden anderen gewesen wäre. Aber er hatte sich schon immer vor Augen geführt, dass der Grund für unser Dasein in einem unwahrscheinlichen Zusammentreffen von Zufällen liegt und man sich über sein Ende nicht beklagen kann. Die Leute glauben, sie hätten ein Recht auf das Leben. Ja fast überall ist das in den Religionen und Gesetzen verankert, sogar in den Verfassungen, doch er hat es nicht so gesehen. Wie soll man ein Anrecht auf etwas haben, was man sich nicht selbst aufgebaut, sich nicht verdient hat?, sagte er oft. Niemand kann sich beklagen, dass er nicht geboren wurde oder nicht schon vorher auf der Welt war, nicht schon immer, weshalb sollte sich also jemand beklagen, dass er stirbt oder nachher nicht mehr auf der Welt ist, nicht immer in ihr verweilen wird? Das eine kam ihm so absurd wie das andere vor. Niemand hat etwas gegen das Datum seiner Geburt einzuwenden, also sollte er auch nichts gegen das seines Todes einwenden, das sich ebenso dem Zufall verdankt. Sogar ein gewaltsamer, sogar ein Selbstmord ist dem Zufall unterworfen. Und wenn man schon einmal im Nichts, im Nichtsein war, ist es nicht mehr so merkwürdig oder schwerwiegend, wieder darin einzugehen, auch wenn wir nun vergleichen können und die Fähigkeit der Sehnsucht haben. Als er erfuhr, was mit ihm los war, als er erfuhr, dass sein Ende bevorstand, verfluchte er sein Schicksal wie jeder andere auch, fühlte sich verzweifelt,
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