Die sterblich Verliebten
Kardiologe, bei dem er immer regelmäßige Kontrolluntersuchungen machen ließ und zu dem er volles Vertrauen hatte. Er ging mit seiner endgültigen Diagnose zu ihm und sagte: ›Erklär du mir, was mich erwartet, sag es mir ungeschminkt. Erzähl mir von den Stadien. Sag, wie es sein wird.‹ Und sein Freund malte ihm ein Bild, das er nicht ertragen konnte.«
»Aha«, sagte ich erneut, wie jemand, der unbedingt zweifeln, nicht glauben will. Aber mehr gelang mir nicht in der Tonlage. Ich versuchte es, zwang mich und brachte am Ende diesen Satz heraus, der in Wirklichkeit vollkommen neutral war: »Und wie sahen diese fürchterlichen Stadien aus?« Selbst wenn es Lüge war, die Schilderung des Prozesses, seine Enthüllung machte mir Angst.
»Nicht nur unheilbar war es, weil es über den ganzen Körper gestreut hatte. Es gab auch kaum eine Palliativbehandlung, oder die war fast schlimmer als die Krankheit. Die Lebenserwartung ohne Behandlung betrug vier bis sechs Monate und mit ihr nicht viel länger. Er würde wenig Zeit gewinnen, eine fürchterliche dazu, im Tausch gegen eine besonders aggressive Chemotherapie mit verheerenden Nebenwirkungen. Doch das war nicht alles: Das Melanom führt zur Verformung des Auges und zu entsetzlichen Schmerzen, allem Anschein nach unerträglich, das war es, was ihm sein Freund, der Kardiologe, in Aussicht stellte, der seinem Wunsch entsprach und ihm nichts von dem ersparte, was er wissen wollte. Dagegen hilft nur, das Auge zu resezieren, das heißt, es operativ zu entfernen, was die Ärzte ›Enukleation‹ nennen, wie Miguel erzählte, weil der Tumor so groß ist. Kannst du dir das vorstellen, María? Ein riesiger Tumor im Auge, der vermutlich nach außen und innen drückt; ein hervortretendes Auge, Stirn und Backenknochen, die sich wölben, anheben; dann ein Loch, eine leere Höhle, die nicht einmal die letzte Metamorphose ist, und all das im besten aller Fälle und ohne, dass es viel nützte.« Die kurze anschauliche Beschreibung schürte meinen Argwohn, das war sein erstes Zugeständnis ans Gruselige und an die Phantasie, bis jetzt hatte er ganz nüchtern erzählt. »Der Anblick des Patienten wird grauenvoll, der fortschreitende Verfall ist fürchterlich, nicht nur im Gesicht, versteht sich, alles wird in Mitleidenschaft gezogen, immer rascher, und mit dieser operativen Entfernung, dieser brutalen Chemotherapie gewinnt er nichts als ein paar wenige Monate Leben. Und was für ein Leben, ein Totenleben oder einen Vortod, leidend und verunstaltet, bei dem man nicht mehr der ist, der man ist, sondern ein verängstigtes Gespenst, das sich nur noch aufs Krankenhaus, aufs Hinein und Hinaus konzentriert. Die äußerliche Verwandlung, das war sein einziger Halt, musste oder würde nicht gleich vonstattengehen: Er hatte eineinhalb Monate oder zwei, bevor die Symptome erkennbar im Gesicht auftauchten, bevor die anderen es merkten, über diese Zeit verfügte er noch, um es vor allen zu verbergen, sich zu verstellen.« Díaz-Varelas Stimme klang tatsächlich betroffen, aber vielleicht traf die Betroffenheit nicht wirklich zu. Ich muss gestehen, dass es mir nicht so vorkam, als er in bitterem, verhängnisvollem Ton hinzufügte: »Eineinhalb Monate oder zwei, das war die Frist, die er mir gab.«
Ich kannte im Grunde die Antwort, und dennoch fragte ich, manch Bericht lässt sich ohne rhetorische Zwischenfrage schwer fortsetzen. Weitergegangen wäre er ohnehin, ich beschleunigte ihn nur ein bisschen, wollte trotz Interesse so schnell wie möglich zum Ende kommen. Mir alles anhören, damit ich nach Hause gehen konnte und endlich nichts mehr hörte.
»Dir? Wozu?« Trotz allem konnte ich mir die Bemerkung nicht verkneifen, dass vorhersehbar war, was er mir erzählen würde. »Jetzt kommst du mir gleich damit, dass er dich um den Gefallen gebeten hat, ihm anzutun, was du ihm angetan hast: hagelnde Messerstiche von Hand eines Berserkers mitten auf der Straße, oder? Nicht gerade eine naheliegende, angenehme Art, sich umzubringen, wo es Tabletten und was weiß ich noch alles gibt. Und recht umständlich für euch, nicht wahr?«
Díaz-Varela warf mir einen verärgerten, missbilligenden Blick zu, meine Kommentare schienen ihm fehl am Platz zu sein.
»Hör gut zu, María, damit eins klar ist. Ich erzähle dir die Geschichte nicht, damit du mir glaubst, es ist mir egal, ob du mir glaubst, etwas anderes wäre es bei Luisa, mit der ich hoffentlich niemals so ein Gespräch führen werde, was teils von dir
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