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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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weniger ich damit rechne, umso besser. Tu, was du willst, engagiere jemanden, der mich abknallt, der mich beim Überqueren der Straße überfährt, lass eine Mauer über mir zusammenstürzen, die Bremsen meines Wagens versagen oder die Scheinwerfer, ich weiß nicht, was immer in deiner Macht steht, was immer dir einfällt. Du musst mir diesen Gefallen tun, musst mich vor dem retten, was mich sonst erwartet. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber ich bin nicht imstande, mich umzubringen oder in die Schweiz zu einer Einrichtung zu reisen, im Wissen, dass ich nur hinfahre, um inmitten Unbekannter zu sterben, wer kann schon eine so unheimliche Reise antreten, seiner Hinrichtung entgegen, man würde unterwegs schon mehrmals sterben und während des Aufenthalts, ein ums andere Mal. Lieber wache ich jeden Tag hier auf, wahre eine winzige Spur Normalität, setze mein Leben fort, solange es mir möglich ist, in der Furcht und Hoffnung, dass jeder Tag mein letzter sein kann. Aber vor allem in der Ungewissheit, allein die Ungewissheit kann mir helfen; denn die kann ich ertragen, das weiß ich. Dagegen nicht das Wissen, dass es von mir abhängt. Von dir muss es abhängen. Erledige mich, bevor es zu spät ist, den Gefallen musst du mir tun.‹ Ungefähr damit kam er an. Er war verzweifelt, aber auch halbtot vor Angst. Doch die Nerven hatte er nicht verloren. Er hatte viel darüber nachgedacht. Mit kühlem Kopf, sofern man das sagen kann. Und er sah keine andere Lösung. Sah tatsächlich keine.«
    »Und du, was hast du geantwortet?«, fragte ich, und kaum hatte ich das gefragt, wurde mir wieder bewusst, dass ich seiner Geschichte doch ein wenig Glauben schenkte, so hypothetisch und flüchtig dieser Glaube sein mochte, sosehr ich mir auch sagte, dass meine eigentliche Frage hätte lauten müssen: ›Einmal angenommen, dass all das so gewesen ist, lass uns einen Moment lang davon ausgehen: Was hast du ihm geantwortet?‹ Aber so hatte ich sie nicht formuliert, keineswegs.
    »Anfangs habe ich mich strikt geweigert, erklärte jedes Beharren für zwecklos. Ich sagte, das sei unmöglich und tatsächlich zu viel verlangt, so eine Aufgabe könne er niemandem übertragen, das könne er nur allein tun. Er solle seinen Mut zusammennehmen oder selbst einen Killer engagieren, er sei nicht der Erste, der seine eigene Hinrichtung plant und bezahlt. Er entgegnete, er wisse mehr als gut, dass er diesen Mut nicht aufbringe, und er sehe sich auch nicht in der Lage, selbst jemanden zu engagieren, denn dann wisse er im Voraus Bescheid, kenne das Wie und in etwa auch das Wann: Hatte er einmal Kontakt aufgenommen, würde der Killer loslegen, die sind von der schnellen Truppe, halten nichts vom Aufschieben, tun, was sie tun müssen, und weiter zum Nächsten. Das sei nicht viel anders als die Fahrt in die Schweiz, sagte er, es wäre weiterhin seine Entscheidung, er würde selbst den Zeitpunkt festsetzen und müsste auf den kleinen Trost der Ungewissheit verzichten, er fühle sich gerade dazu nicht imstande, zu entscheiden, ob heute, morgen oder übermorgen. Er würde es von einem auf den anderen Tag schieben, immer so weiter, ohne es zu wagen, nie wäre der richtige Moment, und am Ende würde ihn der fortschreitende Verfall erwischen, was um jeden Preis verhindert werden musste … Ja, ich verstand ihn, unter solchen Umständen sagt man leicht: ›Noch nicht, noch nicht. Vielleicht morgen. Ja, allerspätestens morgen. Aber heute Nacht schlafe ich noch zu Hause in meinem Bett, schlafe noch mit Luisa. Noch einen Tag mehr.‹« Ich sollte später sterben, noch bleich umherstreifen, dachte ich. Schließlich kann ich nachher nicht mehr wiederkommen. Und selbst wenn: Die Toten tun schlecht daran, zurückzukehren. »Miguel hatte viele Qualitäten, aber er war schwach und unentschlossen. Vermutlich wären wir das fast alle in so einer Situation. Ich ebenso, denke ich.«
    Díaz-Varela verstummte und schaute ins Leere, als versetzte er sich in seinen Freund hinein oder erinnerte sich an die Zeit, als er es getan hatte. Ich musste ihn aus seiner Versunkenheit reißen, ob sie nun Theater war oder nicht.
    »Das war am Anfang, hast du gesagt. Und dann? Wie kam es, dass du deine Meinung geändert hast?«
    Er verharrte eine Weile nachdenklich, fuhr sich mehrmals mit der Hand übers Gesicht, als prüfte er, ob die Rasur noch ausreichend war oder der Bart schon wieder wuchs. Als er wieder sprach, klang er müde, vielleicht hatte er genug von all den Erklärungen, von

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