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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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den Patienten davon zu überzeugen, mit einer Palliativbehandlung weiterzuleben, falls es eine gibt, die man ihm bisher aus welchen Gründen auch immer noch nicht angeboten hat; man überprüft, ob er in vollem Besitz seiner geistigen Kräfte und nicht vorübergehend depressiv ist, eine ernsthafte Einrichtung, wie mir Miguel erzählte. Trotz all der Anforderungen glaubte sein Freund, dass man in seinem Fall keine Einwände haben würde. Er sprach von diesem Ort als möglicher Lösung, als kleinerem Übel, aber auch dazu sah Miguel sich nicht imstande, wagte es nicht. Er wollte sterben, doch ohne es zu wissen. Er wollte nicht wissen, wie oder wann, zumindest nicht genau.«
    »Wer ist dieser befreundete Arzt?«, diese Frage kam mir plötzlich in den Sinn, ich wollte mit Macht die Leichtgläubigkeit abschütteln, die einen fast immer übermannt, wenn man jemandem beim Erzählen zuhört.
    Díaz-Varela war nicht allzu überrascht, vielleicht ein bisschen. Aber er antwortete, ohne zu zögern:
    »Seinen Namen meinst du? Doktor Vidal.«
    »Vidal? Vidal und weiter? Das sagt gar nichts. Es gibt viele Vidals.«
    »Was ist? Willst du Nachforschungen anstellen? Mit ihm reden, damit er dir meine Version bestätigt? Nur zu, er ist ein sehr umgänglicher, herzlicher Mann, ich habe ihn zweimal getroffen. Doktor Vidal Secanell. José Manuel Vidal Secanell, du wirst ihn leicht ausfindig machen, musst nur in der Liste der Ärztekammer, oder wie man das nennt, nachsehen, die ist bestimmt im Internet.«
    »Und der Augenarzt? Der Internist?«
    »Das weiß ich nicht. Miguel hat nie ihre Namen erwähnt, wenn doch, habe ich sie nicht behalten. Vidal dagegen kenne ich, er war, wie gesagt, sein Jugendfreund. Aber von den anderen weiß ich nichts. Vermutlich wird nicht schwer herauszufinden sein, wer der Augenarzt war, wenn du das wissen möchtest, wirst du nachforschen? Luisa fragst du aber besser nicht, falls du ihr nicht alles, den ganzen Rest erzählen willst. Sie hat nie davon erfahren, weder vom Melanom noch von sonst etwas, das war Miguels Wunsch.«
    »Etwas merkwürdig, oder? Man könnte meinen, dass es weniger traumatisch für sie gewesen wäre, von seiner Krankheit zu erfahren, als ihn mit Stichwunden übersät auf dem Boden verbluten zu sehen. Dass es schwerer für sie ist, sich von einem so gewaltsamen, barbarischen Tod zu erholen. Oder ihren Frieden damit zu machen, wie man heute sagt, nicht wahr?«
    »Vielleicht«, erwiderte Díaz-Varela. »Doch so wichtig diese Überlegung auch sein mag, damals war sie sekundär. Miguel graute es davor, die Stadien zu durchlaufen, die Vidal ihm beschrieben hatte; oder dass Luisa zusehen musste, auch wenn das nicht im Vordergrund stand, im Vergleich war das zwangsläufig eine geringere Sorge. Wenn jemand die Gewissheit hat, dass er abtreten muss, ist er nach innen gekehrt, denkt wenig an die anderen, nicht einmal an die Nächsten, Liebsten, er bemüht sich allerdings, sie nicht zu ignorieren, inmitten seines Leids nicht aus den Augen zu verlieren. Man weiß, dass man allein abgeht und sie bleiben, das hat immer etwas Ärgerliches an sich, man empfindet sie als distanziert und fremd, nimmt es ihnen fast übel. Ja, er wollte Luisa seinen Todeskampf ersparen, aber vor allem wollte er ihn sich selbst ersparen. Außerdem musst du berücksichtigen, dass er nicht wusste, wie sein plötzlicher Tod aussehen würde. Das hatte er mir überlassen. Er wusste nicht einmal, ob es so einen plötzlichen Tod geben würde oder ihm doch nichts anderes übrigblieb, als durchzuhalten und den Krankheitsverlauf bis zum Ende durchzumachen oder sich schließlich aufzuraffen und aus dem Fenster zu stürzen, wenn es ihm bereits schlechter ging und allmählich die Entstellung und der große Schmerz auftraten. Ich habe ihm nichts garantiert, habe niemals ja gesagt.«
    »Ja zu was? Hast niemals ja zu was gesagt?«
    Díaz-Varela sah mich erneut mit seinem festen Blick an, den man nie wirklich als solchen empfand, höchstens umfangend. Jetzt schien mir in seinen Augen Ärger aufzublitzen. Aber wie alle Blitze, war er nur flüchtig, denn sogleich antwortete er, und dabei verschwand dieser Ausdruck.
    »Zu was schon? Zu seiner Bitte. ›Erledige du mich‹, bat er. ›Sag mir nicht wie, wann oder wo, es soll mich überraschend treffen, wir haben eineinhalb Monate oder zwei, leg dir einen Plan zurecht und führ ihn aus. Egal, was für einen. Je schneller, umso besser. Je weniger es schmerzt, je weniger ich leide, umso besser. Je

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