Die sterblich Verliebten
ihre verständliche Betrübnis oder gar das Andenken des Toten, und zugleich muss er aufpassen, dass sich inzwischen kein anderer vordrängelt, ob hässlich oder dumm, ungelegen, langweilig oder schlapp, man darf niemanden als Rivalen unterschätzen, jeder kann eine unvorhergesehene Gefahr darstellen. Während er sie belauert, trifft er gelegentlich mich, vielleicht auch andere Frauen (Fragen stellen wir uns lieber nicht), und wer weiß, ob ich im Grunde nicht das Gleiche tue und wie er darauf vertraue, unverzichtbar zu werden, ohne dass er es merkt, mich in eine seiner Angewohnheiten zu verwandeln, so sporadisch sie auch sein mögen, damit es ihm schwerfällt, mich zu ersetzen, wenn er mich aufgeben will. Manche Männer stellen von Anfang an alles klar, ohne dass man sie darum gebeten hätte: ›Ich warne dich, zwischen uns wird es nicht mehr als das hier geben, wenn dir das nicht reicht, lassen wir es lieber gleich bleiben‹; oder: ›Du bist nicht die Einzige, leg es also nicht drauf an, wenn du Ausschließlichkeit willst, ist das hier nicht der Ort‹; oder wie es bei Díaz-Varela der Fall war: ›Ich bin in eine andere verliebt, die noch nicht so weit ist, mich wiederzulieben. Das kommt schon noch, ich brauche Ausdauer und Geduld. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass du mich in der Zwischenzeit unterhältst, wenn du magst, aber sei dir bewusst, dass wir füreinander nichts weiter sind als das: zeitweilige Gesellschaft, Unterhaltung und Sex, höchstens Kameradschaft und Zuneigung ohne Anspruch.‹ Diese Worte hat mir Díaz-Varela nicht etwa gesagt, sie sind gar nicht nötig, denn das ist die unzweideutige Botschaft, die sich aus unseren Treffen ergibt. Doch diese Männer, die einen vorwarnen, widersprechen sich mit der Zeit manchmal durch ihre Taten, und wir Frauen neigen zum Optimismus, sind im Grunde eingebildet, noch viel gründlicher als die Männer, die es in Liebesdingen nur vorübergehend sind und es dann gleich vergessen: Wir denken, sie werden ihre Haltung oder Meinung schon ändern, werden allmählich entdecken, dass sie ohne uns nicht auskommen, halten uns für die Ausnahme in ihrem Leben, den Besuch, der am Ende bleibt, denken, sie werden dieser anderen, unsichtbaren Frau schon noch überdrüssig werden, deren Existenz wir langsam bezweifeln oder lieber gar nicht erst für möglich halten, je öfter wir mit ihnen zusammen sind und je mehr wir sie gegen unseren Willen lieben; denken, wir werden die Auserwählten sein, wenn wir nur Ausdauer genug haben und ohne viel Klagen oder Drängen an ihrer Seite bleiben. Wenn wir nicht sofortige Leidenschaft erwecken, glauben wir, dass Treue und Präsenz am Ende belohnt werden und dauerhafter, stärker sind als jede Verzückung oder Laune. In einem solchen Fall, das wissen wir, werden wir es kaum als Kompliment empfinden, wenn sich unsere höchsten Erwartungen erfüllen sollten, doch als stillen Triumph, wenn sie es tatsächlich tun. Darauf kann man sich bei solch langem Ringen allerdings nie verlassen, und selbst die zu Recht Eingebildeten, die bisher stets Umworbenen können gewaltig Schiffbruch erleiden bei diesen Männern, die sich ihnen nicht ergeben und hochmütige Warnungen vorausschicken. Ich gehöre nicht zu dieser Gruppe der Eingebildeten, hege im Grunde keine triumphierenden Hoffnungen oder gestatte mir nur die eine, dass Díaz-Varela zuerst bei Luisa scheitert und dann vielleicht, mit etwas Glück, an meiner Seite bleibt, weil er sich nicht mehr umtun will, selbst die unruhigsten, eifrigsten Fädenzieher kennen träge Phasen, vor allem nach einem Scheitern, einer Niederlage, einer langen, vergeblichen Wartezeit. Ich weiß, dass es mich nicht kränken würde, ein Ersatz zu sein, denn in Wirklichkeit ist das am Anfang jeder: Díaz-Varela wäre es für Luisa, in Ermangelung ihres toten Mannes; für mich wäre es Leopoldo, den ich noch nicht weitergeschickt habe, obwohl er mir nur leidlich gefällt – ich vermute, für alle Fälle –, und mit dem ich mich passenderweise zu treffen begonnen hatte, kurz bevor ich im Naturkundemuseum auf Díaz-Varela gestoßen war, ihm endlos zugehört und unentwegt auf seine Lippen gestarrt hatte, wie ich es immer noch jedes Mal tue, wenn wir zusammen sind, ich kann den Blick nur von ihnen wenden, um ihn auf die verschleierten Augen darüber zu richten; vielleicht war auch Luisa damals für Deverne nichts anderes gewesen, wer weiß, nach einer ersten Ehe dieses so angenehmen, fröhlichen Mannes, von dem niemand
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