Die sterblich Verliebten
einem Schicksalsschlag, der uns durch und durch geht und scheinbar nicht zu ertragen ist, besteht darin, dass der Leidende glaubt, ja fast fordert, mit ihm müsse die Welt zu Ende gehen, aber die Welt kümmert sich nicht drum und fährt fort, zerrt auch noch an dem vom Unglück Heimgesuchten, erlaubt ihm also nicht, einfach das Theater zu verlassen, es sei denn, der Unglückliche brächte sich um. Das tut er bisweilen, das bestreite ich nicht. Aber selten, und in unserer Zeit kommt es noch seltener vor als früher. Luisa kann sich eine Zeitlang abkapseln und einigeln, nur ihre Familie an sich heranlassen und mich, wenn sie meiner nicht überdrüssig wird, auf mich verzichtet; aber umbringen wird sie sich nicht, und sei es nur, weil sie sich um zwei Kinder zu kümmern hat und weil es nicht ihr Naturell ist. Eine Weile wird es schon dauern, aber mit der Zeit werden Schmerz und Verzweiflung nachlassen, ihr Entsetzen wird schwinden, und vor allem wird sie sich an den Gedanken gewöhnt haben: ›Ich bin Witwe‹, wird sie denken, oder ›nun bin ich verwitwet‹. Das wird die Tatsache, der Umstand sein, das wird sie denen sagen, die man ihr vorstellt und die sie nach ihren Verhältnissen fragen, wird bestimmt nicht einmal erklären wollen, wie es geschah, zu schrecklich, zu unheilvoll wäre es, um es einer neuen Bekanntschaft zu erzählen, nachdem sie etwas Abstand gewonnen hätte, denn es würde sogleich einen dunklen Schatten auf jedes Gespräch werfen. Und genau das werden auch die anderen von ihr sagen, und was man von uns sagt, definiert uns zum Teil, wenn auch oberflächlich und ungefähr, doch letzten Endes bleiben wir zwangsläufig für fast alle Welt oberflächlich, eine Skizze, ein paar hingeworfene Pinselstriche. ›Sie ist Witwe‹, werden sie sagen, ›sie hat ihren Mann unter schrecklichen, nie ganz geklärten Umständen verloren, ich bin mir selbst nicht sicher, jemand hat ihn wohl auf der Straße angefallen, ich weiß nicht, ob ein Verrückter oder ein Killer, vielleicht war es auch ein Entführungsversuch, dem er sich mit aller Kraft widersetzte, worauf man ihn an Ort und Stelle erledigt hat; er war wohlhabend, hatte viel zu verlieren oder hat sich instinktiv zu heftig gewehrt, ich weiß nicht genau.‹ Wenn Luisa wieder verheiratet ist, und das wird in spätestens zwei Jahren der Fall sein, dann werden sich Tatsache und Umstand, obwohl sie die gleichen geblieben sind, gewandelt haben, und sie wird nicht mehr von sich selbst denken: ›Nun bin ich verwitwet‹ oder ›ich bin Witwe‹, weil sie es dann keineswegs mehr ist, sondern wird denken: ›Ich habe meinen ersten Mann verloren, von Tag zu Tag wird er mir ferner. So lange sehe ich ihn schon nicht mehr, der andere dagegen ist hier an meiner Seite und wird es bleiben. Auch ihn nenne ich meinen Mann, wie merkwürdig. Aber er hat seinen Platz im Bett eingenommen, und durch dieses Nebeneinander verwischt er ihn, löscht ihn aus. Etwas mehr mit jedem Tag, mit jeder Nacht.‹«
Dieses Gespräch wurde bei anderer Gelegenheit fortgesetzt, es kam, scheint mir, jedes Mal auf, wenn wir uns sahen – so oft war es nicht –, oder Díaz-Varela brachte es auf, den ich einfach nicht Javier nennen will, auch wenn ich ihn so nannte und als solchen an ihn dachte in manchen Nächten, wenn ich spät nach Hause gekommen war, nachdem ich eine Weile mit ihm im Bett verbracht hatte (in fremden Betten ist man immer nur eine Weile und provisorisch, es sei denn, man wird eingeladen, in ihnen zu schlafen, und das war bei ihm nie der Fall; ja er erfand sogar unnötige, absurde Vorwände, weshalb ich gehen sollte, obwohl ich an keinem Ort je länger geblieben bin, als man mich zu bleiben bat). Ich schaute dann durchs offene Fenster, bevor ich die Augen schloss, schaute auf die Bäume gegenüber, von keiner Laterne beleuchtet und kaum auszumachen, hörte sie jedoch ganz nah im Dunkeln rauschen, ein Präludium des Gewitters, das sich in Madrid nicht immer entlädt, und sagte mir: Welchen Sinn hat das, für mich zumindest. Er verheimlicht nichts, täuscht mich nicht, verhehlt mir nicht, was seine Hoffnung ist und was ihn antreibt, er weiß gar nicht, wie sehr man es ihm anmerkt, während er wartet, dass sie aus ihrer Schwermut, ihrer Stumpfheit erwacht und ihn mit anderen Augen sieht, nicht als den treuen Freund ihres Mannes, der ihr vererbt wurde. Er muss behutsam vorgehen, mit kleinen Schritten, denn winzig müssen sie sein, damit es nicht den Anschein hat, als missachtete er
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