Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
gesetzt, nachdem er das Buch holen gegangen war, während ich mich auf dem Sofa zurückgelehnt hatte, zum Bett waren wir noch nicht übergewechselt. So lief es gewöhnlich, erst setzten wir uns, redeten mindestens eine Stunde lang, und die ganze Zeit über blieb ich im Zweifel, ob es zum zweiten Akt kommen würde, zu Beginn wies nichts in unserem Verhalten darauf hin, es war das zweier Menschen, die plaudern und sich etwas zu erzählen haben und nicht zwangsläufig zum Sex übergehen müssen. Ich spürte, dass es sich ergeben konnte oder nicht, beide Möglichkeiten waren gleich wahrscheinlich, keine davon selbstverständlich, als wäre jedes Mal das erste, als sammelte sich in dieser Hinsicht nichts Erlebtes an – nicht einmal das Vertrauen, nicht einmal das Streicheln des Gesichts –, als müsste man bis in alle Ewigkeit immer wieder von vorn beginnen. Sicher war allerdings, dass sich immer genau das ergeben würde, was er wollte oder eher vorschlug, und am Ende schlug er es unweigerlich vor, durch ein Wort, eine Gebärde, doch erst nach absolvierter Plauderei und angesichts meiner ewigen Schüchternheit, die ich nie überwand. Ich hatte Angst, dass er irgendwann nicht mehr diese Gebärde vollführen, dieses Wort sagen würde, die mich in sein Schlafzimmer dirigierten oder mich unvermittelt – oder nach einer Pause – aufforderten, den Rock hochzuschieben, sondern Gespräch und Treffen beendete, als wären wir zwei Freunde, die nun ihren Gesprächsstoff erschöpft oder noch zu tun haben, und mich mit einem Kuss vor die Tür setzte, denn nie konnte ich mir sicher sein, dass mein Besuch mit dem Umschlingen unserer Körper enden würde. Diese seltsame Ungewissheit gefiel mir und wieder nicht. Zum einen ließ sie mich vermuten, dass er meine Gesellschaft in jedem Fall und unter allen Umständen genoss und mich nicht als bloßes Instrument sexueller Übung und Erleichterung ansah; zum anderen machte es mich wütend, dass er meiner Nähe so lange widerstehen konnte, dass er nicht das dringende Bedürfnis empfand, sich ohne Umschweife auf mich zu stürzen, sobald er mir die Tür geöffnet hatte, und sein Verlangen zu stillen, dass er es ohne weiteres aufschieben konnte; aber vielleicht konzentrierte er es auch, während ich ihn ansah und zuhörte. Diese Klage ging jedoch aufs Konto der ewigen Unzufriedenheit, die uns beherrscht oder ohne die wir nicht auskommen, denn am Ende trat immer das ein, von dem ich fürchtete, dass es nicht eintreten würde, und im Übrigen konnte ich mich wahrhaftig nicht beklagen.
    »Weiter, was ist dann passiert, worin gibt das Buch dir recht«, fragte ich. Wortgewandt war er tatsächlich, liebend gern hörte ich ihm zu, worüber er auch redete, selbst wenn er mir eine alte Geschichte von Balzac erzählte, die ich selbst nachlesen konnte und die er nicht erfunden hatte, aber gewiss interpretiert oder verdreht. Er hatte die Gabe, mich für alles zu interessieren, was ihm in den Sinn kam, schlimmer noch, er unterhielt mich blendend (schlimmer, weil ich wusste, dass ich mich eines Tages würde zurückziehen müssen). Jetzt, da ich nie mehr zu ihm gehe, erinnere ich mich an diese Besuche wie an ein geheimes Terrain, wie an ein kleines Abenteuer, was womöglich ihrem ersten Akt zu verdanken war, zumindest eher als dem ungewissen zweiten, wegen seiner Ungewissheit umso sehnlicher erwartet.
    »Der Oberst will sich Namen, Laufbahn, Rang, Würde und Vermögen zurückerobern, zumindest einen Teil davon (seit Jahren lebt er schon im Elend) und, das Heikelste von allem, seine Frau, die als Bigamistin dastehen würde, wenn Chabert sich tatsächlich als Chabert erweist und nicht als Schwindler oder Wahnsinniger. Vielleicht hatte ihn Madame Ferraud aufrichtig geliebt, bei der Nachricht seines Todes Tränen vergossen, und die Welt war für sie untergegangen; aber seine Wiederkehr ist fehl am Platz, seine Auferstehung ein echtes Ärgernis, ein Riesenproblem, eine heraufziehende Katastrophe samt Ruin, und der neuerliche Untergang der Welt ist der Gipfel aller Paradoxe: Wie kann die Rückkehr des Menschen, dessen Hingang ihn bereits herbeiführte, ihn noch einmal herbeiführen? Hier sieht man klar und deutlich, dass das Gewesene, während die Zeit verstreicht, Gewesenes bleiben oder weiterhin gewesen sein muss, wie es immer der Fall ist oder fast immer, so ist das Leben angelegt, weshalb sich das Getane niemals ungetan und das Geschehene nie ungeschehen machen lässt; die Toten müssen bleiben, wo sie

Weitere Kostenlose Bücher