Die sterblich Verliebten
morts ont donc bien tort de revenir?«
Auch in dieser Sprache hatte er, wie mir schien, eine tadellose Aussprache. »Die Gräfin antwortet scheinheilig: ›O nein, nein, mein Herr! Halten Sie mich nicht für undankbar‹, und fügt hinzu: ›Wenn es auch nicht mehr in meiner Macht steht, Sie zu lieben, weiß ich doch, was ich Ihnen schuldig bin, und kann Ihnen die ganze Zuneigung einer Tochter anbieten.‹ Und so beschreibt Balzac, wie sie auf die verständnisvolle, großmütige Antwort des Obersten reagiert«, und Díaz-Varela las wieder vor (praller, küssbarer Mund). »›Die Gräfin schenkte ihm einen so von Dankbarkeit erfüllten Blick, dass der arme Chabert am liebsten in seine Grube bei Eylau zurückgekehrt wäre.‹ Das heißt, am liebsten wäre ihm gewesen, er hätte ihr keinen Ärger, keine Aufregung mehr bereitet, sich nicht in eine Welt gedrängt, die seine nicht länger war, er wäre nicht mehr ihr Albtraum, ihr Gespenst, ihre Qual gewesen, wäre abgetreten, verschwunden.«
»Und das hat er getan? Er hat das Feld geräumt und sich geschlagen gegeben? Er ist in seine Grube zurückgekehrt, hat Platz gemacht?«, fragte ich in die Pause hinein, die er machte.
»Du wirst es schon lesen. Aber das Unglück, dass er weiterlebt, nachdem er tot gewesen und für tot erklärt worden war, dazu noch in den Annalen der Armee (›eine historische Tatsache‹), ist nicht nur das Unglück seiner Frau, sondern auch seines. Man kann nicht so einfach von dem einen Zustand in den anderen wechseln, vom zweiten in den ersten, meine ich natürlich, er ist sich vollauf bewusst, dass er ein Leichnam ist, ein verbürgter, ein Stück sogar tatsächlicher Leichnam, denn er war selbst überzeugt davon, einer zu sein, hat das Stöhnen von seinesgleichen gehört, das kein Lebender hören könnte. Als er sich zu Beginn der Novelle in der Anwaltskanzlei einfindet, fragt ihn ein Schreiber oder Laufbursche nach seinem Namen. Er antwortet: ›Chabert‹, und der andere sagt: ›Der Oberst, der bei Eylau gefallen ist?‹ Und das Gespenst protestiert nicht etwa, begehrt nicht auf, wird nicht wütend, widerspricht nicht auf der Stelle, sondern nickt nur und bestätigt zahm: ›Eben der, mein Herr.‹ Bald darauf macht er sich selbst diese Definition zu eigen. Als er endlich erreicht, dass ihn der Anwalt Derville persönlich empfängt, und der ihn fragt ›Mit wem habe ich die Ehre, mein Herr?‹, antwortet er: ›Mit dem Obersten Chabert.‹ ›Mit welchem?‹, hakt der Anwalt nach, und was er darauf zu hören bekommt, ist ein Widersinn, der trotzdem die reine Wahrheit ist: ›Dem, der bei Eylau fiel.‹ An anderer Stelle bezeichnet ihn, wenn auch ironisch, Balzac selbst so: ›Mein Herr, sagte der Verstorbene …‹, genau das schreibt er. Der Oberst leidet unablässig unter dem verhassten Status eines Mannes, der nicht starb, als er hätte sterben sollen, oder sogar tatsächlich gestorben war, wie Napoleon höchstselbst bekümmert überprüfen ließ. Als er Derville seinen Fall darlegt, bekennt er ihm Folgendes«, und Díaz-Varela blätterte wieder, bis er auf das Zitat stieß: »›Wahrhaftig, damals, ja bisweilen heute noch ist mir mein Name zuwider. Ich wünschte, ich wäre nicht ich. Das Bewusstsein meiner Rechte bringt mich um. Hätte mir die Krankheit jede Erinnerung an mein früheres Leben genommen, wäre ich glücklich gewesen.‹ Hörst du das: ›ist mir mein Name zuwider, ich wünschte, ich wäre nicht ich.‹« Díaz-Varela wiederholte mir diese Worte, hob sie hervor. »Das Schlimmste, was einem passieren kann, schlimmer als der Tod selbst, und das Schlimmste, was man anderen antun kann, ist die Rückkehr vom Ufer, von dem man nicht wiederkehrt, die Auferstehung zur Unzeit, wenn man nicht mehr erwartet wird, wenn es zu spät und unzulässig ist, wenn man für die Lebenden das Ende bereits hinter sich hat und sie ihr Leben fortgesetzt, wiederaufgenommen haben, ohne noch mit einem zu rechnen. Für den, der zurückkehrt, gibt es kein größeres Unglück als die Entdeckung, dass er überflüssig ist und seine Anwesenheit unerwünscht, dass er das Weltall aufstört, für die geliebten Menschen ein Ärgernis ist und diese nicht wissen, was anfangen mit ihm.«
»›Das Schlimmste, was einem passieren kann‹, na hör mal. Du redest ja, als ob das vorkäme, dabei kommt es nicht vor oder nur in der Fiktion.«
»Die Fiktion kann uns gerade das vorführen, was wir nicht kennen und was nicht vorkommt«, antwortete er blitzschnell, »in
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