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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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unterscheiden, die es gewöhnt sind, dass ihnen Ersterer erfüllt wird, sobald sie ihn nur ausgesprochen oder angedeutet haben, oder Letzterer ausgeführt wird, sobald er ihnen in den Sinn gekommen ist. Deshalb machen sich die Mächtigsten und Verschlagensten niemals die Hände schmutzig, ja oft nicht mal die Zunge, denn so steht es ihnen offen, sich an Tagen, da sie besonders selbstgefällig sind oder das Gewissen sie besonders plagt und triezt, zu sagen: ›Ach, schließlich war ich es ja gar nicht. War ich etwa dabei, habe ich zur Pistole gegriffen, zum Löffel, zum Dolch, was auch immer ihn umgebracht hat? Ich war nicht einmal da, als er gestorben ist.‹

Ich schöpfte noch nicht Verdacht, stellte mir jedoch allmählich Fragen, als ich mich eines Nachts, nachdem ich gutgelaunt und heiter von Díaz-Varela zurückgekehrt war, nun im Bett vor meinen rauschenden, dunklen Bäumen bei dem Wunsch ertappte oder eher bei dem Gedankenspiel, Luisa könnte sterben und das Feld für mich räumen, sie, die nichts tat, um es zu besetzen. Ich verstand mich gut mit ihm, mich interessierte alles, was er erzählte, es kostete mich nicht die geringste Anstrengung, dieses Interesse aufrechtzuerhalten, und es war offensichtlich, dass meine Gesellschaft ihm angenehm und erfreulich war, im Bett ohnehin, aber auch außerhalb, und Letzteres ist das Entscheidende, denn wenn das eine unverzichtbar ist, bleibt es ohne das andere doch ungenügend und unzureichend, und ich hatte beide Vorteile auf meiner Seite. Wenn mich Eitelkeit packte, gefiel ich mir in dem Gedanken, dass er ohne diese alte Schwäche, diese langjährige, dem Gehirn entsprungene Leidenschaft – ich wagte noch nicht, es seinen alten Plan zu nennen, denn das hätte einen Verdacht bedeutet, und der hatte mich noch nicht befallen –, mehr als zufrieden mit mir gewesen, ja, dass ich ihm unentbehrlich geworden wäre, nach und nach. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er sich bei mir nicht gehenlassen konnte – sich nicht hingeben, meine ich –, weil sein Kopf vor langem beschlossen hatte, dass Luisa die Auserwählte war, auserwählt mit der Bestimmtheit, die die vollkommene Aussichtslosigkeit gewährt, denn damals bestand noch nicht die geringste Möglichkeit, sein Traum könnte in Erfüllung gehen, sie war noch die Frau seines besten Freundes, den sie beide liebten. Vielleicht war sie ihm sogar zum idealen Vorwand dafür geworden, sich niemals richtig auf jemanden einzulassen, von einer Frau zur nächsten zu springen, keine dauerhaft, keine wichtig, denn verstohlen blickte er immer in eine andere Richtung, über ihre Schulter hinweg, während er sie offenen Auges umarmte (über unsere Schultern hinweg, auch ich musste mich inzwischen zu den solcherart Umarmten zählen). Wenn man etwas lange Zeit begehrt, fällt es äußerst schwer, es nicht mehr zu begehren, ich meine, zuzugeben oder zu merken, dass man es nicht mehr begehrt oder etwas anderes vorzieht. Das Warten nährt und steigert das Begehren, staut das Erwartete an, festigt und versteinert es, und wir wollen uns nicht eingestehen, dass wir Jahre damit vergeudet haben, auf ein Zeichen zu warten, das uns dann, wenn es sich endlich einstellt, nicht mehr verlockt oder keine Lust mehr macht, seinem späten Ruf zu folgen, dem wir nun misstrauen, vielleicht, weil wir lieber bleiben, wo wir sind. Man gewöhnt sich daran, in Erwartung einer Gelegenheit zu leben, die nicht kommt, quasi in aller Seelenruhe, in Sicherheit und teilnahmslos, quasi ohne zu glauben, dass sie je eintreten wird.
    Schade nur, dass zugleich niemand ganz auf die Gelegenheit verzichten kann, dieser Juckreiz hält uns wach, hindert uns daran, in den Schlaf abzutauchen. Es sind schon die seltsamsten Dinge passiert, in diesem Bewusstsein leben wir alle, selbst die, die nichts von Geschichte wissen, nichts von dem, was in der früheren Welt geschah, nicht einmal von dem, was in der heutigen geschieht, die mit dem gleichen zögernden Schritt vorantaumelt wie sie. Wer hat das nicht erlebt, manchmal unbewusst, bis uns jemand mit der Nase darauf stößt und es in Worte fasst: Der größte Tölpel aus der Schulzeit ist Minister geworden und der Faulenzer Bankier, der gröbste, hässlichste Klotz hat durchschlagenden Erfolg bei den gefragtesten Frauen, der Einfältigste wird zum verehrten Schriftsteller und Nobelpreiskandidaten, wie vielleicht tatsächlich Garay Fontina, der Tag mag kommen, an dem er seinen Anruf aus Stockholm erhält; das lästigste, vulgärste

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