Die sterblich Verliebten
zulegt, so schwach und hilfsbedürftig er auch erscheinen mag; wer weder Lust noch Zeit hat, sich ihm mit gleicher Leidenschaft zu widmen, mit ebensolcher Heftigkeit zu antworten, wird ihm erliegen, denn einen Krieg darf man nie unaufmerksam führen, sei er erklärt, unterschwellig oder heimlich, darf den zähen Gegner niemals unterschätzen, auch wenn wir ihn für harmlos halten, unfähig, uns zu schaden, ja auch nur einen Kratzer zuzufügen: Tatsächlich kann uns ein jeder vernichten, wie uns ein jeder erobern kann, darin liegt unsere fundamentale Schwäche. Beschließt jemand, uns zu zerstören, lässt sich die Zerstörung schwerlich verhindern, es sei denn, wir gäben alles andere auf und konzentrierten uns nur noch auf diesen Kampf. Voraussetzung ist jedoch, zu wissen, dass es einen solchen Kampf gibt, und das erfahren wir nicht immer, am meisten Erfolg verspricht der hinterhältige, stillschweigende, verräterische, wie der Krieg, den man nicht erklärt, bei dem der Angreifer unsichtbar ist oder sich als Verbündeter oder Neutraler verkleidet, so könnte auch ich Luisa hinterrücks oder indirekt attackieren, und sie würde es nicht einmal merken, weil sie nicht wüsste, dass eine Feindin sie belauert hat. Wir können für jemanden ein Hindernis sein, ohne es zu wollen oder zu ahnen, können im Wege stehen, eine Laufbahn behindern, unabsichtlich oder unbewusst, und so kann sich niemand je in Sicherheit wiegen, alle können wir gehasst werden, uns alle kann man beseitigen wollen, selbst den Harmlosesten, Unglücklichsten. Die arme Luisa war beides, aber niemand verzichtet endgültig auf seine Gelegenheit, darin würde ich den anderen nicht nachstehen. Ich wusste, was von Díaz-Varela zu erwarten war, machte mir niemals etwas vor, und trotzdem konnte ich nicht umhin, auf eine glückliche Fügung zu hoffen, auf einen seltsamen Wandel, die Entdeckung seinerseits, dass er ohne mich nicht leben konnte oder mit beiden leben musste. In jener Nacht sah ich als wirkliche, mögliche Fügung nur, dass Luisa starb, und indem sie verschwand und nicht länger das Objekt der Begierde, das Ziel, die lang ersehnte Trophäe war, würde Díaz-Varela womöglich nichts anderes übrigbleiben, als mich endlich zu erkennen und Zuflucht bei mir zu suchen. Keinen sollte es kränken, dass jemand sich mit uns begnügt, mangels des anderen, Besseren.
Wenn ich dazu imstande war, eine Weile nachts allein für mich in meinem Zimmer, wenn ich dazu imstande war, mir zu wünschen, zu erträumen, dass Luisa starb, die mir nichts getan hatte und gegen die ich keinerlei Abneigung hegte, für die ich Sympathie und Mitleid empfand, ja sogar eine ganz besondere Anteilnahme, dann fragte ich mich, ob es Díaz-Varela mit seinem so viel älteren Motiv nicht ebenso bei seinem Freund Desvern ergangen war. Im Allgemeinen wünscht man nicht den Tod derer, die einem so nahestehen, dass sie fast zum eigenen Leben gehören, aber manchmal ertappen wir uns bei dem Gedanken, was wäre, wenn einer von ihnen verschwände. Dieser Gedanke wird gelegentlich nur durch die Angst oder den Schrecken heraufbeschworen, durch unsere exzessive Liebe und die Panik, den anderen zu verlieren: ›Was täte ich ohne ihn, ohne sie? Was würde aus mir werden? Ich wüsste nicht weiter, würde ihm folgen wollen.‹ Allein die Vorstellung macht uns schwindelig, und meist weisen wir den Gedanken sogleich weit von uns, mit Schauder und dem erlösenden Gefühl des Irrealen, als schüttelten wir einen hartnäckigen Albtraum ab, der auch im Moment des Erwachens nicht ganz verblassen will. Aber gelegentlich mischt sich noch etwas anderes, Unreines in diese Phantasie. Man wagt nicht, jemandem den Tod zu wünschen, schon gar keinem Nahestehenden, hat jedoch das vage Gefühl, wenn jemand Bestimmtes einen Unfall hätte oder eine todbringende Krankheit bekäme, würde das Universum ein Stück besser oder, was für jeden aufs Gleiche hinausläuft, die eigene Situation. ›Wenn es ihn oder sie nicht mehr gäbe‹, so weit denkt man womöglich, ›wie viel anders wäre dann alles, was für eine Last wäre mir genommen, Schluss wäre mit meiner Misere, mit meiner furchtbaren Unzufriedenheit, und wie würde ich dann hervorstechen.‹ Luisa ist das einzige Hindernis, so weit dachte ich; Díaz-Varela ist besessen von ihr, nur das steht zwischen uns. Wenn er sie verlöre und seiner Mission, seines Ziels beraubt wäre … Damals zwang ich mich noch nicht dazu, ihn in Gedanken beim Nachnamen zu nennen, noch
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