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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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und Frau würden. Durch den winzigen Spalt, der nicht einmal einer war (das Holz war leicht aufgequollen, deshalb schloss die Tür nicht richtig) konnte ich hören, wer jeweils sprach, manchmal ganze Sätze, manchmal nur Bruchstücke oder so gut wie gar nichts, das hing davon ab, wie lange die Männer das beabsichtigte Flüstern durchhielten. Denn immer wieder wurden sie ungewollt lauter, wirkten aufgeregt, wenn nicht beunruhigt oder sogar erschrocken. Wenn Díaz-Varela mich später auf meinem Horchposten entdeckte (vielleicht schaute er vorsichtshalber noch einmal herein), würde meine Lage, je mehr Zeit verstrichen war, heikler werden, doch als Entschuldigung konnte mir immer noch dienen, ich hätte geglaubt, er habe die Tür bloß geschlossen, um mich nicht zu wecken, und nicht, weil er mit seinem Besucher etwas Geheimes zu besprechen hatte. Das würde er nicht schlucken, doch zumindest hätte ich das Gesicht gewahrt, es sei denn, er ginge erbittert oder wütend auf mich los, ohne Rücksicht auf Verluste, und bezeichnete mich als Schwindlerin. Zu Recht, denn ich wusste tatsächlich von Anfang an, dass sein Gespräch nicht für meine Ohren bestimmt war, nicht nur aus Gründen genereller Diskretion, sondern weil ich außerdem »die Frau« kannte, und mit diesem Wort war die Ehefrau, war jemandes Frau gemeint, und in dem Fall konnte dieser Jemand niemand anderes sein als Desvern.

»Also, was ist los, was ist so dringend?«, hörte ich Díaz-Varela fragen und hörte ebenso die Antwort des anderen, dessen Stimme klangvoll war und der korrekt und überdeutlich artikulierte, zwar nicht so, wie man den Madrider Akzent parodiert – angeblich trennen wir die Silben, betonen sie extra, doch nie habe ich jemanden in meiner Stadt so sprechen hören, nur in den Filmen und früher im Theater oder höchstens zum Spaß –, jedenfalls verschliff er die Wörter kaum, alle waren klar unterscheidbar, wenn ihm das Tuscheln nicht gelang, um das er sich bemühte und für das seine Sprechweise oder sein Tonfall nicht geeignet zu sein schienen.
    »Es scheint, der Kerl hat zu singen begonnen. Er gibt langsam sein Schweigen auf.«
    »Wer, Canella?«, auch Díaz-Varelas Frage vernahm ich klar und deutlich, hörte den Namen wie einen Fluch, der einen erschauern lässt – ich erinnerte mich an den Namen, hatte ihn im Internet gelesen, kannte ihn sogar vollständig, Luis Felipe Vázquez Canella, als wäre es ein eingängiger Titel oder ein Vers; ebenso bemerkte ich sein Erschrecken, seine Panik –, oder ich hörte ihn, wie man seine eigene Verurteilung hört oder die des Menschen, den man am meisten liebt, und man traut seinen Ohren nicht, streitet das Gehörte ab, sagt sich, das ist nicht möglich, das geschieht nicht, ich höre nicht, was ich sehr wohl höre, es fand nicht statt, was sehr wohl stattgefunden hat, als riefe uns der Geliebte mit dem allgemeingültigen unheilverkündenden Satz zu sich, auf den alle Sprachen zurückgreifen – ›wir müssen reden, María‹, wobei er uns beim Vornamen nennt, den er sonst kaum gebraucht, nicht einmal, wenn er in uns hineinkeucht, sein schmeichelnder Mund ganz nah an unserem Hals –, und dann folgt unsere Verdammung: ›Ich weiß nicht, was mit mir los ist, ich kann es mir selbst nicht erklären‹; oder ›ich habe jemanden kennengelernt‹; oder auch ›du wirst gemerkt haben, dass ich in letzter Zeit seltsam und kühl gewesen bin‹, all das ein Vorspiel des Unheils. Oder ich hörte es, wie man aus dem Mund des Arztes den Namen einer fremden Krankheit vernimmt, die uns nichts angeht, die andere erleiden, aber nicht man selbst, und die er nun wider Erwarten mit uns in Verbindung bringt, wie kann das sein, er muss sich irren, das Gehörte ist nicht gesagt worden, das ist nicht mein Los, passt nicht zu mir, ich war nie so einer, so eine, so ein Unglücksmensch, ich gehöre nicht zu denen und werde es nie.
    Auch ich erschrak, auch ich spürte kurz die Panik und wollte schon von der Tür zurücktreten, um nichts mehr hören zu müssen und mir später einreden zu können, dass ich mich verhört oder gar nichts gehört hatte. Aber immer lauscht weiter, wer einmal angefangen hat, die Wörter purzeln oder schweben heraus, und keiner kann sie aufhalten. Wenn sie doch endlich die Stimme gesenkt hätten, damit die Unkenntnis nicht mehr von mir abhing, damit alles im Nebel unterging und verschwamm und Platz für Zweifel ließ; damit ich meinen Sinnen nicht trauen musste.
    »Na klar, wer sonst«,

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