Die sterblich Verliebten
antwortete der andere ein wenig verächtlich und ungeduldig, als hielte er, nachdem er Alarm geschlagen hatte, wie jeder Überbringer einer Nachricht nun das Heft in der Hand, bis er sie ganz und gar weitergereicht, übermittelt hat und dann mit leeren Händen dasteht, denn der Zuhörer braucht ihn nicht länger. Der Bote dominiert nur kurz, solange er sein Wissen verkündet und noch Schweigen bewahrt.
»Was sagt er denn? Viel kann’s nicht sein, was kann er schon sagen? Oder? Was kann der Unglückswurm schon sagen? Wen kümmert es, was ein Geistesgestörter sagt?« Diese Worte richtete Díaz-Varela vor allem an sich selbst, er war nervös, schien einen bösen Zauber bannen zu wollen.
Aus seinem Besucher stürzte es nun heraus – er konnte nicht mehr an sich halten –, dabei hob und senkte er die Stimme unwillkürlich. Von seiner Entgegnung erreichten mich nur Bruchstücke, doch nicht wenige.
»… redet von den Anrufen, von der Stimme, die ihm erzählt hat«, sagte er, »… von dem Mann in Leder, das bin ich«, sagte er. »Finde ich gar nicht lustig … ist nicht schlimm … werde sie wohl ausrangieren müssen, und wie sie mir gefallen, einen Haufen Jahre trage ich sie schon … Man hat kein Handy bei ihm gefunden, dafür hab ich schon gesorgt … werden es für Spinnereien halten … Die Gefahr ist nicht, dass sie ihm glauben könnten, er ist ein Verrückter … sondern dass jemand auf die Idee kommt … nicht von sich aus, aufgehetzt … Kaum wahrscheinlich, wenn es in der Welt etwas im Überfluss gibt, dann Faulenzer … Es ist viel Zeit vergangen … hatten damit gerechnet, und dass er die Aussage verweigert hat, war ein Geschenk, jetzt stehen die Dinge so, wie wir anfangs erwartet hatten … waren verwöhnt … Damals, brühwarm … schlimmer, glaubwürdiger … Aber ich wollte, dass du es sofort erfährst, das ist keine Kleinigkeit und ändert die Sache, obwohl es uns augenblicklich nicht betrifft und künftig wohl auch nicht … Besser, du weißt Bescheid.«
»Nein, das ist keine Kleinigkeit, Ruibérriz«, hörte ich Díaz-Varela sagen, hörte deutlich diesen ausgefallenen Nachnamen, er war zu aufgeregt, um seine Stimme zu dämpfen, hatte sie nicht im Zaum. »So übergeschnappt er sein mag, er erzählt, dass ihn jemand angestiftet hat, persönlich und übers Telefon, dass es ihm jemand in den Kopf gesetzt hat. Er schiebt Schuld ab oder zieht andere hinein, das nächste Glied in der Kette bist du, und dann komme schon ich, das ist nicht lustig, verdammt. Nimm an, man zeigt ihm ein Foto von dir, und er identifiziert dich. Du bist vorbestraft, nicht wahr? Kein unbeschriebenes Blatt, oder? Du sagst ja selbst, dein Leben lang gehst du in diesen Ledermänteln, alle Welt kennt dich so und mit deinen sommerlichen Polohemden, für die bist du übrigens zu alt. Anfangs hast du gesagt, dass du nicht hingehst, dich nicht blicken lässt, einen Dritten schickst, wenn er noch Anschub braucht, wenn noch etwas Gift nachgeträufelt werden muss, er ein Gesicht sehen will, dem er vertrauen kann. Damit es wenigstens zwei Stufen zwischen uns beiden gibt, nicht eine, und der Dritte nichts von meiner Existenz weiß. Jetzt stellt sich heraus, dass nur du zwischen uns stehst und dass er dich wiedererkennen könnte. Du bist vorbestraft, oder? Sag die Wahrheit, für Zimperlichkeiten ist jetzt nicht der Moment, ich will wissen, woran ich bin.«
Stille trat ein, vielleicht überlegte dieser Ruibérriz, ob er die Wahrheit sagen sollte, wie Díaz-Varela verlangt hatte, und wenn er überlegte, dann war er vorbestraft, aktenkundig samt Foto. Ich fürchtete, der Grund der Pause könnte ein unbewusstes Geräusch von mir gewesen sein, mein Fuß auf dem Holz, unwahrscheinlich, aber die Angst zwingt uns, nichts auszuschließen, nicht einmal das Nichtvorhandene. Ich stellte mir vor, wie die beiden dort standen, kurz den Atem anhielten, misstrauisch die Ohren spitzten, Seitenblicke Richtung Schlafzimmer warfen, einander mit einer Handbewegung andeuteten: ›Warte, die Typin ist wach.‹ Auf einmal hatte ich Angst vor ihnen, beide zusammen machten sie mir Angst, ich redete mir ein, dass Javier allein mir keine eingeflößt hätte: Ich war eben mit ihm im Bett gewesen, hatte ihn umarmt, geküsst, mit all der Liebe, die ich ihm zu zeigen wagte, das heißt, mit viel unterdrückter, verheimlichter Liebe, die ich nur durch winzige Gesten durchscheinen ließ, auf die er bestimmt nicht achtete, keinesfalls wollte ich ihn
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