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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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bringt. Hier magst du nicht vorbestraft sein, aber mehr als ein Bulle kennt dich. Hoffen wir, dass die von der Mordkommission sich nicht mit anderen Abteilungen kurzschließen. Na ja, hierzulande schließt sich keiner mit jemandem kurz, wie’s scheint. Jedes Ressort kocht seine eigene Suppe, wäre schon seltsam.« Auch Díaz-Varela war jetzt um Optimismus bemüht, um einen kühlen Kopf. Alles in allem klangen sie wie jeder andere, wie Amateure, die nicht weniger im Dunkeln tappten, als ich es getan hätte. Als wären sie nicht ans Verbrechen gewöhnt oder sich nicht bewusst, dass sie eines angezettelt, ja fast in Auftrag gegeben hatten, wie ich folgerte.
    Ich wollte diesen Ruibérriz sehen, der sich bestimmt gleich verabschieden würde: sein Gesicht und den berühmten Mantel, bevor er ihn vernichtete. Ich beschloss, hinauszugehen, hätte mich beinah rasch angekleidet. Doch wenn ich das tat, würde Díaz-Varela den Verdacht hegen, dass ich schon seit einer Weile von dem Besucher in der Wohnung wusste und vielleicht gehorcht, spioniert hatte, zumindest während der Sekunden, die ich mir die restlichen Kleider anzog. Wenn ich ins Wohnzimmer platzte, wie ich war, hätte man den Eindruck, ich wäre eben aufgewacht und wüsste nichts von der Anwesenheit eines anderen. Ich hätte nichts gehört, wäre im Glauben, dass wir beide weiterhin allein waren, wie immer, ohne einen Zeugen unserer Vereinigung, gelegentlich, an manchen Abenden. Ich ginge zu ihm hinaus, ganz selbstverständlich, nachdem ich entdeckt hätte, dass er nicht bei mir im Bett geblieben war, während ich schlief. Besser, ich tauchte halbausgezogen auf, gut hörbar und ohne jede Vorsicht, ganz wie eine Unschuldige, die noch mit offenen Augen träumt.

Aber in Wirklichkeit war ich gar nicht halbausgezogen, sondern eher halb- oder fast nackt, die restlichen Kleider, die ich anzuziehen hatte, waren alle außer dem Rock, nur ihn hatte ich noch an, Díaz-Varela sah es gern, dass ich ihn hochschob, oder schob ihn mir in der Erregung eigenhändig hoch, aber aus Lust oder Bequemlichkeit zog er mir die anderen Kleidungsstücke am Ende immer aus; nun gut, manchmal schlug er vor, ich solle die Schuhe wieder anziehen, nachdem er mir die Strümpfe abgestreift hatte, doch nur, wenn es hochhackige waren, viele Männer bleiben klassischen Bildern treu, ich verstehe sie – ich habe meine eigenen – und lasse sie gewähren, es kostet mich nichts, ihnen die Freude zu machen, ja es schmeichelt mir sogar, einer Phantasie zu entsprechen, die es bereits zu einem gewissen Ansehen gebracht hat, da sie einige Generationen überdauern konnte, kein geringes Verdienst. Die übertrieben spärliche Bekleidung – der Rock knielang, wenn er richtig und glatt saß, doch zerknittert und verrutscht sehr viel knapper – ließ mich abrupt innehalten, zögern und fragen, ob ich im Glauben, allein mit Díaz-Varela in der Wohnung zu sein, tatsächlich mit blanken Brüsten aus dem Schlafzimmer gekommen wäre oder sie bedeckt hätte, man muss sich schon sehr sicher sein, dass sie nicht nachgegeben haben, dass uns kein übermäßiges Schaukeln oder Hüpfen verrät, bevor man so auf jemanden zugeht (nie habe ich die Ungeniertheit älterer Nudisten begreifen können); es ist nicht das Gleiche, ob ein Mann sie ruhend oder in den Wirren eines erhitzten Nahkampfs sieht oder von vorn, aus der Entfernung, in unkontrollierter Bewegung. Aber ich kam nicht dazu, diese Frage zu lösen, denn die Scham griff ein und siegte sofort. Die Aussicht, mich auf diese Weise erstmals einem völlig Unbekannten zu zeigen, war mir unerträglich, umso mehr, da es sich um ein zwielichtiges Individuum ohne Skrupel handelte. Die hatte zwar auch Díaz-Varela nicht, wie ich eben entdeckt hatte, vielleicht sogar noch weniger, doch immerhin kannte er, was an meinem Körper sichtbar ist, und nicht nur das, er war immer noch der Geliebte, ich empfand eine Mischung aus absolutem Unglauben und elementarem, unwillkürlichem Abscheu, ich wollte einfach nicht wahrhaben, was ich nun zu wissen glaubte, – es schon gar nicht analysieren – und ich sage ›glaubte‹, weil ich darauf vertraute, mich verhört zu haben, dass es ein Missverständnis war, dass ich ihre Unterhaltung falsch gedeutet hatte, dass es eine Erklärung gab, die mich nachher denken ließ: ›Wie konnte ich nur auf so einen Gedanken kommen, wie dumm und ungerecht bin ich gewesen. Zugleich war mir bewusst, dass ich die Schlussfolgerung, die sie nahelegte, bereits

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