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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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erschrecken, vor der Zeit verscheuchen, verjagen – denn kommen würde die Zeit, da war ich mir sicher. Ich merkte, wie diese aufgestaute Liebe vorübergehend aussetzte, in jeglicher Form ist sie unvereinbar mit der Furcht; oder wie sie sich für einen besseren Moment aufsparte, den des Dementis oder des Vergessens, auch wenn mir nicht entging, dass keines von beiden möglich war. Also verließ ich meinen Posten für den Fall, dass er nachsehen kam, ob ich auch schlief und kein Ohrenzeuge der Unterhaltung lauschte. Ich legte mich ins Bett, nahm eine, wie mir schien, überzeugende Stellung ein, wartete und hörte nichts mehr, verpasste Ruibérriz’ Antwort, früher oder später musste er eine gegeben haben. So verharrte ich vielleicht ein, zwei, drei Minuten, niemand kam, nichts passierte, bis ich meinen Mut zusammennahm, wieder unter der Decke hervorschlüpfte und an den falschen Spalt trat, noch immer halb entkleidet, wie er mich zurückgelassen hatte, noch immer im Rock. Die Versuchung, zu horchen, ist stärker als wir, auch wenn wir wissen, dass sie uns nicht bekommt. Vor allem, wenn wir zu begreifen beginnen.
    Die Stimmen waren nun weniger deutlich, ein Gemurmel, als hätten sie sich nach dem anfänglichen Schrecken beruhigt. Vielleicht hatten die beiden vorher gestanden und sich nun kurz hingesetzt, im Sitzen spricht man weniger laut.
    »Was, meinst du, sollen wir tun«, vernahm ich endlich von Díaz-Varela. Er wollte die Sache hinter sich bringen.
    »Gar nichts dürfen wir tun«, entgegnete Ruibérriz und hob die Stimme, vielleicht weil er Anweisungen gab und sich kurzzeitig wieder obenauf fühlte. Es klang abschließend, bestimmt würde er bald gehen, vielleicht hatte er sich schon den Mantel gegriffen und über den Arm geworfen, falls er ihn überhaupt abgelegt hatte, es war ein ungelegener Blitzbesuch, bestimmt hatte ihm Díaz-Varela nicht einmal Wasser angeboten. »Seine Aussage deutet auf niemanden hin, betrifft uns nicht, weder du noch ich haben damit zu tun, ein Nachhaken meinerseits wäre kontraproduktiv. Du weißt es, nun vergiss es. Nichts ändert sich, nichts hat sich geändert. Sollte sich etwas Neues ergeben, werde ich es erfahren, aber es besteht kein Grund dazu. Sicher werden sie es zu Protokoll nehmen und archivieren, nichts weiter. Wo sollen sie auch nachforschen, vom Handy gibt es keine Spur, es existiert nicht. Canella hat nicht mal die Nummer gekannt, hat anscheinend vier oder fünf unterschiedliche angegeben, ihm tanzen die Zahlen im Kopf, kein Wunder, allesamt erfunden oder erträumt. Er hatte das Handy bekommen, die Nummer niemals, so hatten wir es abgemacht, und so ist es gelaufen. Was soll sich also geändert haben? Der Kerl hat Stimmen gehört, sagt er jetzt, die haben ihm von seinen Töchtern erzählt und den Schuldigen genannt. Wie bei vielen Irren. Ist nicht weiter besonders, dass sie nicht aus seinem Kopf oder vom Himmel kamen, sondern aus einem Handy, sie werden es für Wahnsinn nehmen, für Geltungsdrang. Der Fortschritt macht selbst vor dem ärmsten Schwein, selbst vor den Verrückten nicht halt, und wer kein Handy hat, ist tatsächlich der letzte Depp. Lass ihn nur. Reg dich nicht unnötig auf, das bringt nichts.«
    »Und was ist mit dem Mann in Leder? Du selbst warst beunruhigt, Ruibérriz. Deshalb bist du zu mir gerannt, um es mir zu erzählen. Sag jetzt nicht, es gäbe keinen Grund. Also was jetzt?«
    »Na gut, als ich davon erfuhr, habe ich etwas Schiss bekommen, ich geb es ja zu, in Ordnung. Wir waren so schön sorglos, weil er erst die Aussage verweigert, nichts gesagt hat. Es kam so überraschend, inzwischen hatte ich nicht mehr damit gerechnet. Aber jetzt beim Erzählen habe ich gemerkt, dass im Grunde nichts dabei ist. Und dass zweimal ein Mann in Leder bei ihm aufgetaucht ist, na, da hätte ihm praktisch auch die heilige Jungfrau von Fatima erscheinen können. Ich habe doch gesagt, dass man mich nur in Mexiko sucht, wenn es nicht schon verjährt ist, bestimmt sogar, hinfahren werde ich allerdings nicht, um es herauszufinden: eine Jugendsünde, Ewigkeiten her. Und damals trug ich diese Mäntel nicht.« Ruibérriz wusste, dass er einen Fehler begangen hatte, sich dem Parkeinweiser nie hätte zeigen dürfen. Vielleicht versuchte er deshalb nun, die von ihm überbrachte Neuigkeit herunterzuspielen.
    »Die kannst du schon mal entsorgen, für alle Fälle. Angefangen bei dem hier. Verbrenn ihn, zerfetz ihn. Damit kein Schlauberger kommt und dich mit ihm in Verbindung

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