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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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geschehen die Dinge, wann sie geschehen, warum zu diesem Zeitpunkt und nicht im vorigen, nicht im folgenden, was ist Besonderes, Entscheidendes an diesem Moment, was hebt ihn heraus, wer wählt ihn aus, und wie kann man sagen, was Macbeth anschließend gesagt hat, ich hatte nachgeschlagen, nachdem mir Díaz-Varela daraus zitiert hatte, und gleich auf diese Stelle folgt:
There would have been a time for such a word,
»es hätte eine Zeit für solch ein Wort gegeben«, das heißt, ›für so eine Botschaft‹ oder ›solch einen Satz‹, für den nämlich, den er gerade aus dem Mund seines Dieners Seyton vernommen hat, dem Überbringer von Erlösung oder Unglück: »Die Königin, Herr, ist tot.« Wie so oft bei Shakespeare streiten die Kommentatoren über Zweideutigkeit und Geheimnis dieser berühmten Zeilen. Was bedeuten sie? ›Es hätte eine geeignetere Zeit gegeben‹? ›Eine bessere Gelegenheit für diesen Vorfall, weil die augenblickliche mir nicht passt‹? Vielleicht ›eine günstigere, friedlichere Zeit, in der man ihr die letzte Ehre hätte erweisen, in der ich hätte innehalten und gebührend den Verlust derjenigen beweinen können, die so viel mit mir geteilt hat, Ehrgeiz und Verbrechen, Hoffnung, Macht und Angst‹? Macbeth verfügt in dem Moment aber nur über eine Minute, in der er sogleich die zehn berühmten Verse von sich gibt, mehr sind es nicht, seinen außerordentlichen Monolog, den so viele auf der Welt auswendig kennen und der beginnt mit: »Morgen, Morgen und wieder Morgen …« Als er zum Ende kommt – doch wer weiß, ob er schon fertig war oder noch etwas hinzugefügt hätte, wäre er nicht unterbrochen worden –, erscheint ein Bote, der seine Aufmerksamkeit fordert, denn er bringt ihm die schreckliche, gespenstische Nachricht, dass der große Wald von Birnam sich bewegt, erhebt und auf den hohen Hügel Dunsinane heranrückt, wo er sich befindet, was heißt, dass er besiegt werden wird. Und einmal besiegt, wird er tot sein, und tot wird man ihm den Kopf abschlagen und als Trophäe ausstellen, vom Körper getrennt, der ihn jetzt beim Sprechen noch trägt, blicklos: ›Sie hätte später sterben sollen, wenn ich nicht mehr hier gewesen wäre, nicht davon gehört, nichts gesehen, nichts mehr geträumt hätte; wenn ich nicht mehr in der Zeit gewesen wäre, es nicht einmal hätte wissen können.‹

Anders als vorhin beim Zuhören, als ich sie nicht gesehen hatte und das Gesicht von Ruibérriz de Torres noch nicht kannte, flößten mir die beiden während des kurzen Moments in ihrer Gesellschaft keine Furcht ein, so wenig vertrauenerweckend auch die Züge und das Betragen des Besuchs sein mochten. Tatsächlich verriet alles an ihm den Gauner, aber keinen wirklich bösen; bestimmt war er zu tausenderlei kleinen Gemeinheiten fähig, die ihn hin und wieder zu einer größeren verleiten mochten, wie jemand, den es zur Grenzüberschreitung drängt, der dem Nachbargebiet jedoch nur einen Blitzbesuch abstattet, das täglich zu bereisen ihn entsetzen würde. Ich bemerkte zwischen ihnen einen Mangel an Vertrautheit, ja an Affinität, und mir schien, dass die beiden, weit entfernt davon, sich als Mörderpaar gegenseitig zu beflügeln, ihre Gefährlichkeit jeweils durch die Gegenwart des anderen einbüßten und dass keiner es wagen würde, sein Misstrauen offen zu zeigen, mich auszufragen oder mir vor den Augen eines Zeugen etwas anzutun, auch wenn dieser sein Komplize bei der Planung eines Verbrechens gewesen war. Als hätten sie sich zufällig und flüchtig zusammengetan, nur für eine einzige Tat, als bildeten sie keinesfalls einen festen Bund, hätten keinerlei langfristige Pläne miteinander, als verbänden sie ausschließlich der bereits vollzogene Schritt und seine möglichen Konsequenzen, ein Gelegenheitsbündnis, vielleicht von beiden nicht gewollt, für das sich Ruibérriz womöglich um des Geldes, um seiner Schulden willen bereit erklärt hätte und Díaz-Varela mangels eines besseren – kriminelleren, professionelleren – Kumpans, so dass ihm nichts anderes übrigblieb, als sich einem Schlitzohr anzuvertrauen. ›Du hast eigentlich keinerlei Grund, mich anzurufen, sag, wann haben wir das letzte Mal gesprochen? Ich hoffe sehr, es ist wichtig, was du mir zu erzählen hast‹, hatte er seinen Besucher getadelt, als der ihm vorgeworfen hatte, sein Handy ausgeschaltet zu haben. Sie standen also nicht in regelmäßigem Kontakt, und dass sie sich die Freiheit zu gegenseitigen Vorwürfen

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