Die sterblich Verliebten
Erwartungsgemäß wird er beim Abstieg, die Spitze nach unten gerichtet, lotrecht hinabfallen, nicht von seinem Weg abweichen und niemanden treffen oder verletzen. Höchstens den Bogenschützen.‹
Dieser völlige Mangel an Respekt fiel mir an der Art auf, in der Díaz-Varela mit Ruibérriz umging, ihm beim Abschied sogar Befehle gab (›So, jetzt hast du mich lang genug aufgehalten, ich kann meinen Besuch nicht länger vernachlässigen. Also sei so lieb und verschwinde. Ruibérriz: Raus mit dir!‹, hatte er ihm nach unserem Minidialog gesagt: Zweifellos hatte er ihm Geld bezahlt oder zahlte noch immer für Vermittlung und Überwachung des Verbrechens und die Kontrolle der Folgen), sowie an der Art, in der Letzterer den Blick über mich wandern ließ, die ganze Zeit, bis er zur Tür hinaus war: Er korrigierte sein erstes, wegen der Überraschung entschuldbares Taxieren auch nicht, als er sich vergewissert hatte, dass ich nicht zum ersten Mal dort in dem Schlafzimmer war, das merkt man sofort; als er gesehen hatte, dass meine Gegenwart keine zufällige, versuchsweise, und ich keine Frau war, die an einem einzigen Nachmittag – oder sagen wir, an einem ersten, der oft der einzige bleibt – zu einem Mann mitgeht, wie sie ebenso gut mit einem anderen hätte gehen können, der ihr auch gefällt, sondern dass ich sozusagen von seinem Freund ›besetzt‹ war, zumindest damals, was im Grunde ja stimmte. Doch ihn kümmerte das nicht: Er blendete in keinem Moment seine taxierenden männlichen Augen ab, auch nicht sein lüsternes, flirtendes Lächeln, das sein Zahnfleisch bloßlegte, als nähme er diesen unverhofften Anblick einer Frau in Büstenhalter und Rock und ihre Bekanntschaft als Investition für die nahe Zukunft, als rechnete er damit, mich bald schon anderswo allein zu treffen, ja als wollte er später den, der uns widerwillig und notgedrungen vorgestellt hatte, um meine Telefonnummer bitten.
»Verzeiht mein Hereinplatzen, ehrlich«, wiederholte ich, als ich wieder im Wohnzimmer war, nun im Pullover. »Hätte ich geahnt, dass wir nicht allein sind, wäre ich nie so herausgekommen.« Das zu betonen, war in meinem Interesse, damit kein Verdacht aufkam. Díaz-Varelas Blick blieb ernst, fast tadelnd, sogar hart; ganz anders Ruibérriz.
»Da gibt es nichts zu verzeihen«, ließ er altmodisch-galant und kühn los. »Die Aufmachung hätte hinreißender nicht sein können. Eigentlich schade, dass es so flüchtig war.«
Díaz-Varela verzog das Gesicht, all das ging ihm gewaltig gegen den Strich: das Eintreffen des Komplizen samt seiner Botschaft, mein plötzlicher Auftritt, meine Bekanntschaft mit diesem, mein mögliches Lauschen hinter der Tür, während er mich im Schlaf wähnte; und bestimmt auch Ruibérriz’ visuelles Begehren angesichts von Büstenhalter und Rock oder des wenigen, was sie verbargen, und die anschließenden Komplimente, auch wenn sie noch recht höflich waren. Ich machte mir die kindische Hoffnung, unvereinbar mit meiner gerade gemachten Entdeckung – und sie dauerte auch nur kurz –, Díaz-Varela könnte um meinetwillen etwas empfinden, was der Eifersucht glich oder an sie erinnerte. Seine schlechte Laune war nicht zu übersehen, noch weniger, als wir allein zurückgeblieben waren, nachdem sich Ruibérriz mit seinem Mantel über den Schultern in gemächlichem Gang in Richtung Fahrstuhl aufgemacht hatte, als wäre er stolz auf seine Erscheinung und wollte mir Zeit geben, sie von hinten zu bewundern: ein optimistischer Typ, kein Zweifel, der nicht merkte, dass er in die Jahre kam. Bevor er verschwand, wandte er sich zu uns um, die wir ihm von der Tür aus nachschauten, ganz wie ein Ehepaar, und verabschiedete sich, indem er die Hand rasch an die Augenbraue führte und dann hob, als nähme er einen Hut ab. Die Besorgnis, mit der er gekommen war, schien zerronnen zu sein, er war wohl ein leichtblütiger Mensch, der sich beliebig vom Kummer ablenken, von jeder Ersatzbefriedigung trösten ließ. Mir kam der Gedanke, dass er nicht auf seinen Freund hören, den Ledermantel nicht entsorgen würde, er gefiel sich zu sehr in ihm.
»Wer war das?«, fragte ich Díaz-Varela und versuchte, gleichgültig oder unbekümmert zu klingen. »Was macht er? Das ist der erste Freund von dir, den ich kennenlerne, und ihr gebt nicht gerade ein Idealpaar ab, oder? Ganz schön merkwürdig sieht er aus.«
»Das ist Ruibérriz«, antwortete er trocken, als wäre diese Information neu oder taugte als Definition. Gleich
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