Die sterblich Verliebten
merkte er, wie schroff seine Antwort gewesen war und dass sie nichts besagte. Er schwieg einige Augenblicke, als wägte er ab, was er erzählen könne, ohne sich zu kompromittieren. »Rico hast du doch auch kennengelernt«, stellte er richtig. »Er beschäftigt sich mit allem und nichts. Ein Freund ist er nicht, ich kenne ihn nur oberflächlich, wenn auch schon seit langem. Er macht komische Geschäfte, die einfach kein Geld abwerfen wollen, also versucht er, überall ein Bein an Deck zu bekommen, wo auch immer. Wenn er eine vermögende Frau erobert, legt er sich auf die faule Haut, solange sie ihn aushält und seiner nicht müde wird. Ansonsten schreibt er Drehbücher fürs Fernsehen, Reden für Minister, für Stiftungspräsidenten, Bankiers, was sich so anbietet, arbeitet als Ghostwriter. Er übernimmt Recherchen für pedantische Autoren historischer Romane, was die Leute im 19. Jahrhundert oder in den dreißiger Jahren getragen haben, was es für Transportmittel gab, welche Waffen benutzt wurden, aus welchem Material die Rasierpinsel oder Haarnadeln waren, wann ein Gebäude errichtet oder ein Film uraufgeführt wurde, all diese überflüssigen Dinge, die die Leser langweilen und mit denen die Autoren Eindruck schinden wollen. Er durchforstet Zeitungsarchive, beschafft Informationen, welche auch immer verlangt werden. Dabei häuft er so nebenbei einiges Wissen an. Mir scheint, in seiner Jugend hat er zwei Romane veröffentlicht, ohne Erfolg. Ich weiß nicht. Er ist rundum gefällig, und davon lebt er vermutlich, von seinen vielen Beziehungen: nützlich in seiner Nutzlosigkeit oder umgekehrt.« Er hielt inne, im Zweifel, ob es unklug war, das Folgende hinzuzufügen, fand jedoch keinen Grund, es nicht zu tun, besser, wenn ich nicht den Eindruck bekäme, er wolle das harmlose Porträt nicht vervollständigen. »Zurzeit ist er halber Eigentümer von ein, zwei Restaurants, aber sie gehen nicht gut, seine Läden halten sich nicht, er öffnet und schließt. Seltsam, dass er immer wieder, sobald er sich aufgerappelt hat, einen neuen aufmachen kann.«
»Und, was wollte er? Er kam unangemeldet, oder?«
Noch im selben Atemzug bereute ich das viele Fragen.
»Weshalb willst du das wissen? Was kümmert dich das?«
Er sagte es voll Verdruss, fast zornig. Ich war mir sicher, dass er mir plötzlich nicht mehr traute, ich war ein Ärgernis für ihn, vielleicht eine Bedrohung, eine unbequeme Zeugin womöglich, er hatte die Deckung hochgenommen, es war unheimlich, eben noch war ich eine angenehme, harmlose Begleitung gewesen, bei weitem kein Grund zur Sorge, ja im Gegenteil, eine erfreuliche Ablenkung, während er wartete, dass die Zeit verstrich und heilte, seine Erwartungen erfüllte oder sogar für etwas sorgte, was eigentlich nicht ihre Aufgabe ist, für die Überzeugung, die Annäherung, die Verführung, ja die Verliebtheit; ich war jemand gewesen, der nicht mehr von ihm erwartete als das Gehabte und nichts von ihm verlangte, was zu geben er nicht bereit war. Nun hatte sich das Misstrauen, der Zweifel eingeschlichen. Er konnte mich schlecht fragen, ob ich ihr Gespräch belauscht hatte: Wenn es nicht so war, würde er mich nur neugierig darauf machen, was er mit Ruibérriz besprochen haben mochte, während ich schlief, auch wenn es mich nichts anging und eher kaltließ, ich war bei ihm nur auf der Durchreise; wenn ja, würde ich zweifellos mit nein antworten, und er wüsste die Wahrheit immer noch nicht. Unausweichlich musste ich von diesem Augenblick an ein Schatten sein oder, schlimmer noch, eine Plage, ein Hindernis.
Da bekam ich wieder einen Anflug von Furcht, er allein flößte sie mir sehr wohl ein, ohne jemanden, der ihn hätte bremsen können. Vielleicht konnte er nur sichergehen, dass sein Geheimnis geheim blieb, indem er mich beseitigte, es heißt, wer sich einmal im Verbrechen versucht hat, dem fällt es nicht allzu schwer, ein neues, ein nächstes zu begehen, ist die Grenze einmal überschritten, gibt es kein Zurück mehr, und die Quantität wird nebensächlich angesichts dieses gewaltigen Schritts, dieses qualitativen Sprungs, der einen bis in alle Ewigkeit zum Mörder macht, bis zum letzten Lebenstag, ja sogar noch im Gedächtnis derer, die uns überleben, sofern sie Bescheid wissen oder es später erfahren, wenn wir keine Chance mehr haben, es schönzureden oder abzustreiten. Ein Dieb kann das Gestohlene zurückgeben, ein Verleumder seine Verleumdung eingestehen, berichtigen und den guten Namen des
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