Die sterblich Verliebten
mich für eine Frau, die von unerschöpflichen Tätigkeiten in Anspruch genommen wurde, von denen ich ihm nicht einmal erzählte, er musste sich meine kleine, gemächliche Welt als kaum erträglichen Strudel vorstellen, so selten widmete ich ihm meine Zeit, so beschäftigt tat ich ihm gegenüber. Er hielt sich in meinem Leben nicht länger als Díaz-Varela: Wie es so häufig geschieht, wenn zwei Beziehungen parallel laufen, kann die eine nicht ohne die andere überleben, so unterschiedlich oder entgegengesetzt sie auch sein mögen. Wie oft beenden nicht zwei Geliebte die ehebrecherische Beziehung, wenn der Verheiratete sich scheiden lässt oder Witwer wird, als hätten sie plötzlich Angst, sich allein gegenüberzustehen, oder als wüssten sie nicht, wie sie nun ohne Hindernisse ausleben und entwickeln sollen, was bisher eine begrenzte Liebe gewesen war, bequemerweise dazu verurteilt, sich nicht zu offenbaren, ja nicht einmal ihr Zimmer zu verlassen; wie oft entdeckt man nicht, dass das, was auf riskantem Weg begann, auf diesem Pfad weitergehen muss und dass ein Abweichen von beiden Beteiligten als betrügerisch und falsch empfunden und abgelehnt wird. Leopoldo erfuhr nie von Díaz-Varela, nicht ein Wort über dessen Existenz, es ging ihn nichts an, es gab keinen Grund. Wir trennten uns einvernehmlich, sehr weh habe ich ihm nicht getan, er ruft mich manchmal noch an, nur kurz, wir langweilen uns, wissen nach drei Sätzen nicht mehr, was sagen. Nur eine kurze Hoffnung brach für ihn zusammen, die zwangsläufig schwach gewesen war und schon mit Skepsis vermischt, denn fehlende Begeisterung lässt sich nicht verbergen, selbst der größte Optimist bemerkt sie. Jedenfalls glaube ich, dass ich ihn kaum gekränkt habe, er hatte nichts mitbekommen. Doch darüber muss ich mir jetzt auch nicht mehr den Kopf zerbrechen, was für eine Rolle spielt das schon oder spielt das für mich. Díaz-Varela würde sich nicht die Mühe machen, zu erfahren, ob und wie weh er mir getan hat: Letztlich war ich von Anfang an skeptisch gewesen, man kann nicht einmal sagen, ich hätte mir tatsächlich Hoffnungen gemacht. Bei anderen schon, bei ihm nicht. Etwas habe ich von diesem Geliebten gelernt: fortzufahren, ohne noch lange zurückzublicken.
Das Folgende klang bereits nach Forderung, schlecht maskiert als Bitte:
»Hör mal, María, komm vorbei, unmöglich wird es nicht sein. Was ich besprechen will, könnte wohl ein, zwei Tage warten. Ich aber kann nicht warten, mit dir darüber zu reden, du weißt ja, wie das mit persönlichen Dringlichkeiten ist, man bekommt sie nicht in den Griff. Es ist auch zu deinem Besten, wenn du vorbeikommst. Ich bitte dich, komm vorbei.«
Ich wartete einige Sekunden mit der Antwort, damit er nicht glaubte, alles wäre so leicht wie immer, letztes Mal war etwas Furchtbares geschehen, auch wenn er nichts davon wusste, oder vielleicht doch. In Wirklichkeit kam ich um vor Verlangen, ihn zu sehen, uns beide auf die Probe zu stellen, mich am Anblick seines Gesichts, seiner Lippen zu erfreuen, sogar mit ihm ins Bett zu gehen, zumindest mit seinem vorigen Selbst, das noch im neuen steckte, wo auch sonst. Schließlich sagte ich:
»In Ordnung, wenn du so drauf bestehst. Ich kann nicht sagen, wann genau, aber ich komme. Wenn du allerdings nicht länger warten willst, sag Bescheid, damit ich mir den Weg spare. Aber jetzt muss ich gehen.«
Ich legte auf und stellte das Handy aus, kehrte wieder zu meiner sinnlosen Sitzung zurück. Von da an konnte ich dem empfohlenen mitteljungen Autor nicht mehr die geringste Aufmerksamkeit schenken, und er musste mich hassen, weil er nichts anderes wollte, Publikum und jede Menge Aufmerksamkeit. Ich war mir ohnehin sicher, dass man ihn im Verlag nicht veröffentlichen würde, zumindest nicht, was mich anging.
Am Ende hatte ich noch reichlich Zeit, es war gar nicht spät, als ich mich zu Díaz-Varelas Wohnung aufmachte. So reichlich, dass ich noch innehalten, mutmaßen, zweifeln, ein paar Runden in der Gegend drehen und den Moment hinausschieben konnte, hinaufzugehen. Ich setzte mich sogar ins Embassy, diesen altmodischen Ort für Damen und Diplomaten, die ein Häppchen essen oder Tee trinken wollen, ich suchte mir einen Tisch, bestellte und wartete. Nicht auf eine bestimmte Uhrzeit – mir war nur bewusst, je länger ich es hinausschob, desto nervöser würde er werden –, sondern darauf, dass die Minuten verstrichen, ich ausreichend Entschlusskraft aufbrachte oder meine Ungeduld
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