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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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dir am Nachmittag Bescheid. Je nachdem, wie alles läuft, komme ich vorbei oder sage dir, dass es nicht geht.«
    Dann sprach er meinen Namen aus, was er sonst nicht tat.
    »Nein, María. Komm vorbei.« Er machte eine Pause, als sollte es tatsächlich wie ein Befehl klingen, und so klang es. Als ich nicht auf der Stelle antwortete, sprach er weiter, um den Eindruck abzumildern. »Ich habe nicht nur Lust, dich zu sehen, María.« Zweimal mein Name, das war nun ungewöhnlich, ein schlechtes Vorzeichen. »Ich muss dringend etwas mit dir besprechen. Auch wenn es spät wird, das macht nichts, ich werde hier sein. Ich erwarte dich auf jeden Fall. Oder ich hole dich ab«, schloss er entschieden.
    Auch ich nahm seinen Namen selten in den Mund und tat es diesmal wie ein Echo oder um nicht zurückzustehen, häufig schrecken wir auf, wenn wir den unseren hören, als wäre es eine Warnung oder der Auftakt zu einem Unglück, einem Abschied.
    »Javier, so viele Tage haben wir uns nicht gesehen, nicht gesprochen, so dringend wird es nicht sein, es wird wohl ein, zwei Tage warten können, oder? Falls es mir heute nicht möglich ist, meine ich.«
    Ich ließ mich bitten, wollte aber, dass er nicht abließ, sich nicht mit einem ›mal sehen‹ oder ›vielleicht‹ zufriedengab. Seine Ungeduld schmeichelte mir, obwohl ich merkte, dass sie diesmal nicht rein fleischlicher Natur war. Wahrscheinlich lag keine Spur Fleischeslust darin, sondern nur die Dringlichkeit, Schluss zu machen und ihn in Worte zu fassen: Hat man einmal entschieden, dass die Sache nicht weiter in der Schwebe bleiben, sich nicht einfach auflösen oder stillschweigend versanden, kein blasses Ende bekommen soll, dann ist es kaum erträglich, ja fast unmöglich, zu warten; sofort muss man es aussprechen, ausspucken, dem anderen mitteilen, damit man sich mit einem Ruck losreißen kann und er weiß, was ihm blüht, nicht länger verblendet und selbstzufrieden ist, damit er bloß nicht glaubt, er stellte weiterhin in unserem Leben etwas dar, wenn er es nicht mehr tut, nähme weiterhin einen Platz in unseren Gedanken, unserem Herzen ein, wenn beide ihn bereits abberufen haben; damit er aus unserem Leben verschwindet, unverzüglich. Aber es war mir einerlei. Es war mir einerlei, ob Díaz-Varela mich nur zu sich bestellte, um mich abzuschieben, mir den Laufpass zu geben, seit vierzehn Tagen hatte ich ihn nicht gesehen, hatte gefürchtet, ihn nie mehr zu Gesicht zu bekommen, und nur das zählte: Wenn er mich vor sich sah, würde es ihm vielleicht schwerfallen, an seiner Entscheidung festzuhalten, ich konnte ihn verlocken, ihn die künftige Sehnsucht nach mir schon jetzt spüren lassen, ihn durch meine Gegenwart zu einem Rückzieher bewegen. Das dachte ich und merkte gleich, wie idiotisch es war: Wie unangenehm sind die Augenblicke, in denen wir uns nicht einmal dabei schämen, unsere Idiotie zu bemerken, sondern uns mit Hingabe in sie hineinstürzen, bewusst und mit der Gewissheit, dass wir uns bald schon sagen werden: ›Ich wusste es doch, war mir sicher. Du meine Güte, wie dumm ich war.‹ Noch inkonsequenter, noch schwachsinniger war, dass ich mich gerade dann wie Eisen vom Magneten anziehen ließ, als ich bereits so gut wie beschlossen hatte, den Umgang mit ihm abzubrechen, falls er wieder nach mir verlangen sollte. Er hatte seinen besten Freund umbringen lassen, das war zu viel für mein waches Gewissen gewesen. Jetzt stellte sich heraus, dass dem nicht so war, zumindest noch nicht, oder dass sich mein Gewissen bei der kleinsten Unachtsamkeit eintrübte oder schläfrig wurde, was mich zur gleichen Schlussfolgerung führte: ›Du meine Güte, wie dumm ich bin.‹
    Díaz-Varela hatte ich jedenfalls schlecht erzogen, da ich mich seinen Vorschlägen nur widersetzt hatte, wenn es meine Arbeit gebot, und es gibt wenig, was nicht bis zum nächsten Tag warten kann, zumindest in einem Verlag. Leopoldo war nie ein Hindernis gewesen, solange es dauerte, er befand sich mir gegenüber in der gleichen Situation wie ich gegenüber Díaz-Varela oder in einer noch schlechteren sogar, denn ich musste einiges aufbieten, damit ich mich im intimen Umgang mit ihm wohlfühlte, und ich hatte nie den Eindruck, dass Díaz-Varela bei mir einen ähnlichen Willensakt vollziehen musste, obwohl ich mir das vielleicht nur einbildete, wer kann sich schon bei jemand anderem über etwas sicher sein. Ich war es, die Leopoldo diktierte, wann wir uns sehen konnten und wann nicht und für wie lange, er hielt

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