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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Zurückhaltung, mein Zögern sicher sehr viel eher bemerken, wenn wir uns sahen, nicht nur sprachen, und auch eher – so viel war klar –, wenn wir Letzteres taten, anstatt es gar nicht zu tun. Aber nicht antworten, nicht zurückrufen, wäre aufs Gleiche hinausgelaufen, da es vorher nie vorgekommen war. Wenn ich einwilligte, zu ihm zu gehen, und er mir vorschlug, miteinander zu schlafen, wie er es stets auf seine stillschweigende Art tat und dabei vorgab, es geschähe nicht, was geschah, oder wäre nicht der Rede wert, und ich unter einem Vorwand ablehnte, würde er Verdacht schöpfen. Wenn er mich zu sich bestellte und ich ihn hinhielt, würde ihn auch das misstrauisch machen, denn im Rahmen des Möglichen hatte ich seinem Vorschlag immer Folge geleistet. Für mich war es ein Segen, ein Glück, dass er seit jenem Abend schwieg, mich nicht mehr suchte, dass ich befreit war von seinen Verhören, seinen Fangfragen, seinem Schnüffeln nach Wahrheit, davon, ihm erneut gegenüberzutreten, ohne zu wissen, woran mich halten oder wie mit ihm umgehen, und dabei Furcht und Ablehnung zu empfinden, gewiss vermischt mit Verlockung und Verliebtheit, denn beides kann man nicht mit einem Mal und willentlich unterdrücken, sie hallen meist nach wie bei einer Genesung, wie die Krankheit selbst; Empörung hilft da kaum, ihr Schwung verpufft sofort, ihr Gift zerrinnt, oder es kommt und geht, und wenn es geht, hinterlässt es keine Spur, staut sich nicht auf, untergräbt nichts, und sobald es gebannt ist, wird es vergessen, wie die Kälte, wenn sie fort ist, oder wie Fieber und Schmerz. Die Korrektur der Gefühle geht langsam vor sich, mit hoffnungsloser Gemächlichkeit. Man richtet sich in ihnen ein und kann sie nur schwer hinter sich lassen, man gewöhnt sich daran, an jemanden auf eine ganz bestimmte, unveränderliche Art zu denken – und auch daran, ihn zu begehren –, darauf verzichtet man nicht einfach von heute auf morgen, nicht einmal auf Monate, auf Jahre hinaus, so lange kann man ihr anhängen. Wenn man Enttäuschung verspürt, bekämpft man sie zunächst, auch entgegen aller Wahrscheinlichkeit, relativiert sie, leugnet sie, versucht sie zu vertreiben. Manchmal dachte ich, dass ich nicht gehört hatte, was ich gehört hatte, oder der schwache Einfall kehrte zurück, es müsse ein Irrtum sein, ein Missverständnis, ja es gebe eine angemessene Erklärung dafür, dass Díaz-Varela Deverns Tod in die Wege geleitet hatte – aber wie konnte das angemessen sein –, ich merkte, dass ich beim Warten den Begriff ›Mord‹ in meinen Gedanken vermied. Während ich es als Glück ansah, dass Díaz-Varela nicht nach mir verlangte, sondern mir Gelegenheit gab, mich zu fassen und durchzuatmen, war ich zugleich beunruhigt und gequält, weil er es nicht tat. Vielleicht wollte ich nicht wahrhaben – ein blasses, schlechtes Ende –, dass alles sich auf diese Art auflöste, dass ich sein Geheimnis entdeckt, er Verdacht geschöpft und mich kurz ausgefragt hatte, nichts weiter. Als hätte man die Vorstellung vorzeitig abgebrochen, als hinge noch alles in der Luft, ungewiss, schwebend, in seiner Unentschiedenheit verharrend, wie der Mief im Innern eines Fahrstuhls. Mein Denken geriet durcheinander, ich wollte von ihm hören und wieder nicht, meine Träume widersprachen sich, und wenn ich eine Nacht wach lag, verschwamm tatsächlich alles, da war nur die Überfülle in meinem Kopf und das verhasste Unvermögen, ihn zu leeren.
    In meiner Schlaflosigkeit fragte ich mich, ob ich mit Luisa sprechen sollte, die ich niemals mehr beim Frühstück im Café antraf, sie hatte die Gewohnheit wohl aufgegeben, um ihren Kummer nicht zu vergrößern oder um besser vergessen zu können, vielleicht ging sie aber auch später hin, wenn ich schon arbeitete (womöglich hatte ihr Mann früher aufstehen müssen, und sie hatte ihn nur begleitet, um die Trennung hinauszuschieben). Ich fragte mich, ob es nicht meine Pflicht war, sie zu warnen, ihr vor Augen zu führen, wer dieser Freund war, der vielleicht unbemerkte Bewerber und beständige Beschützer; aber ich hatte keine Beweise, sie konnte mich für verrückt halten oder für verbittert, für rachsüchtig und verstört, es ist alles andere als einfach, jemandem mit einer so unheilvollen, dunklen Geschichte zu kommen, je übertriebener und verworrener eine Geschichte, desto weniger glaubt man sie, und wer Gräueltaten begeht, vertraut zum Teil darauf, dass man ihnen nur schwerlich Glauben schenken wird,

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