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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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überwog, bis ich schließlich aufstehen, einen Schritt machen würde, noch einen und noch einen, zu seiner Tür gelangen und aufgeregt die Klingel drücken würde. Aber nachdem ich einmal beschlossen hatte, hinzugehen, und wusste, dass es in meiner Hand lag, ihn noch am selben Tag wiederzusehen, wollten weder das eine noch das andere eintreffen. Gleich gehe ich, dachte ich, kein Grund zur Eile, ein bisschen warte ich noch. Er bleibt zu Hause, wird mir nicht entwischen, wird nicht fortgehen. Jede Sekunde soll ihm lang werden, er soll sie zählen, ein paar Seiten lesen, ohne sie zu verstehen, soll planlos den Fernseher an- und ausstellen, sich aufregen, soll sich zurechtlegen oder auswendig lernen, was er mir sagen will, soll jedes Mal ins Treppenhaus schauen, wenn er den Fahrstuhl hört, und einen Dämpfer bekommen, wenn er weiter unten anhält oder weiter nach oben fährt. Was er wohl mit mir besprechen will? Dieses Wort hat er benutzt, so einen leeren, bedeutungslosen Platzhalter, hinter dem sich meist andere Absichten verbergen, eine Falle, in die man jemanden lockt, man soll sich wichtig fühlen und neugierig werden. Ein paar Minuten darauf dachte ich: Weshalb mache ich da mit? Weshalb verweigere ich mich nicht, weshalb meide ich ihn nicht, verstecke mich, ja weshalb denunziere ich ihn nicht einfach? Weshalb gebe ich mich dafür her, weiterhin mit ihm zu verkehren, da ich doch weiß, was ich weiß, ihn anzuhören, wenn er sich erklären will, vermutlich mit ihm ins Bett zu gehen, wenn er mich mit einer bloßen Geste, einer Liebkosung dazu auffordert oder bloß mit dieser männlich-prosaischen Kopfbewegung Richtung Schlafzimmer, ohne jedes schmeichelnde Wort, maulfaul wie so viele Männer? Mir fiel ein Zitat aus den
Drei Musketieren
ein, das mein Vater auswendig auf Französisch kannte und bisweilen zitierte, ohne großen Anlass, fast als gedankenlosen Pausenfüller, damit das Schweigen nicht zu lang wurde, vermutlich gefielen ihm Rhythmus, Klang und Knappheit der Sätze, oder vielleicht hatten sie ihn als Kind beeindruckt, als er sie zum ersten Mal las (er war ebenso wie Díaz-Varela auf die französische Schule gegangen, San Luis de los Franceses, wenn ich mich recht erinnere). Athos spricht da von sich selbst in dritter Person, er erzählt also d’Artagnan seine Geschichte, als wäre sie einem alten aristokratischen Freund passiert, der mit fünfundzwanzig eine unschuldige, bezaubernde Kleine von sechzehn geheiratet hatte, »schön wie die Liebe« oder ›wie die Liebeleien‹ oder ›wie die Verliebtheiten‹, das sagt Athos, der damals noch nicht der Musketier war, sondern der Graf de la Fère. Mit seiner blutjungen, engelsgleichen Frau, mit der er die Ehe einging, ohne viel von ihr zu wissen, ihre Herkunft zu erforschen, ihr eine Vergangenheit zuzuschreiben, reitet er auf die Jagd, und sie erleidet einen Unfall, stürzt vom Pferd und wird ohnmächtig. Als er ihr zu Hilfe eilt, merkt Athos, dass ihr Kleid sie beengt, ja fast erstickt; er zieht sein Weidmesser, schlitzt es auf, verschafft ihr Luft und entblößt ihre Schulter dabei. Da sieht er darauf eingebrannt eine schändliche Lilie, das Zeichen, mit dem die Henker auf ewig die Prostituierten, Diebinnen oder überhaupt alle Verbrecherinnen, ich weiß nicht genau, brandmarkten. »Der Engel war ein Teufel«, urteilt Athos. »Das arme Mädchen hatte gestohlen«, fügt er etwas widersprüchlich hinzu. D’Artagnan fragt, was der Graf daraufhin getan habe, worauf sein Freund knapp und kühl antwortet (und das ist das Zitat, das mein Vater immer vortrug und das mir damals eingefallen war):
Le Comte était un grand seigneur, il avait sur ses terres droit de justice basse et haute: il acheva de déchirer les habits de la Comtesse, il lui lia les mains derrière le dos et la pendit à un arbre.
Was bedeutet: »Der Graf war ein Lehnsherr, übte in seinem Gebiet die hohe und niedere Gerichtsbarkeit aus; er zerriss vollends die Kleider der Gräfin, band ihr die Hände auf den Rücken und hängte sie an einem Baum auf.« Das hatte Athos in seiner Jugend getan, ohne zu zögern, ohne mit sich reden zu lassen oder mildernde Umstände zu suchen, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne Mitleid oder Bedauern angesichts ihres zarten Alters, und mit der Frau, in die er so sterblich verliebt war, dass er sie in einem Akt bewusster Ehrbarkeit zu seiner Gemahlin gemacht hatte, denn er hätte sie, wie er bekennt, nach Belieben verführen oder mit Gewalt nehmen können: Er war

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