Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
wenig Respekt vor dir. Wie ist dir denn das gelungen?«
Mary traute dem Lächeln nicht und wich einen Schritt zurück.
»Du miese kleine Schlampe«, schrie Lettice auch gleich, »was hast du denen im Schloß alles über mich erzählt? Welche Lügen hast du denen aufgetischt?«
»Ich habe nichts erzählt«, flüsterte Mary, »wirklich nicht. Es war nur wegen der Katze...«
»Die Katze, die Katze! Hab dich nicht so mit dem Drecksvieh! Du bist eine zimperliche, heimtückische, bösartige Lügnerin! Ach, ich könnte dich...« Lettice zog einen ihrer Holzschuhe aus und schleuderte ihn gegen Mary. Sie traf sie an der Hand, und schneidend fiel der Schmerz über Mary her. Verschwommen sah sie Lettices wutverzerrtes Gesicht dicht vor ihrem und erkannte den unverstellten Haß, der in ihren schmalen, grünen Augen stand.
»Du hast es weiß Gott geschafft! Du hast geschafft, was ich immer wollte und was die schafshirnige Bess auch versucht hat. Du kommst nach London! O Mary«, sie umklammerte beide Arme ihrer Tochter mit ihren langen, harten Fingern, »du raffiniertes Luder, du hast es so schlau angestellt, wie ich es dir nie zugetraut hätte! Das hast du wohl früh begriffen, daß es einen verfluchten Dreck nützt, sich einem Kerl an den Hals zu schmeißen und von ihm was zu erhoffen, nein, du hast es mit der netten Miss Brisbane versucht und mit der feinen Lady Cathleen und die Rechnung ist aufgegangen. O verdammt«, sie ließ Mary los und sah sich in der Küche um, bebend vor Zorn und fast verzweifelt, »dieser Dreck! Dieser gottverdammte Dreck, in dem ich leben muß! Diese verfluchte Armut und dieser Höllenhund Ambrose, der mit Sicherheit das Dümmste ist, was diese Erde je hervorgebracht hat und an dem ich zugrunde gehe! Ich hasse ihn, Mary, ich hasse ihn, ich hasse ihn!« Lettice lachte schrill auf, griff nach einem speckigen Stück Fleisch, das auf dem Schrank gelegen hatte und hielt es Mary unter die Nase.
»So bin ich! Siehst du das?« Sie bohrte in dem Fleisch herum, bis sie auf ein Nest gelber Würmer und krabbelnder Käfer stieß. »Verwest in der Sonne und voller Würmer! Alt und stinkend und häßlich! « Sie warf es gegen die Wand und starrte Mary an.
»Ich war jung und so schön, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Jeder lumpige Kerl auf der Straße hat sich nach mir umgedreht und auf mein wunderschönes rotes Haar gestarrt, das viel röter und schöner war als deines, und auf meinen Mund, meine Augen, meinen schlanken Körper! Verrückt waren sie nach mir, alle miteinander, und ich habe es genossen, o Mary, wie ich es genossen habe! Sie haben mir Versprechungen gemacht, so was hast du noch nie gehört, die Seele wollten sie sich aus dem Leib reißen für ein einziges Lächeln von mir! Versprechungen... ha, schau nur, was daraus geworden ist!« Lettice sank erschöpft auf einen Stuhl.
»Und warum hau ich nicht ab? Jede Nacht träume ich davon, kein Tag vergeht, an dem ich es nicht tun möchte, und trotzdem bleibe ich! Ich sage es dir, Mary, auch wenn du es nicht verstehst, dieser Kerl, dieser Ambrose, den ich hasse wie nichts und niemanden auf der Welt, von dem kann ich nicht weg, ich kann’s nicht, und Gott verdamme mich, ich werde in seinen Armen noch verrecken!« Sie atmete schwer und stützte den Kopf in die Hände.
Mary wagte sich nicht zu rühren. Sie begriff nicht alles, was Lettice gesagt hatte und sie wollte erst später darüber nachdenken. Jetzt wollte sie nur wissen, wie über ihr Schicksal entschieden worden war. Sie wartete schweigend bis ihre Mutter wieder aufblickte. Ihre Züge hatten sich entspannt.
»Gib dich nie mit ganzer Seele einem Mann hin«, sagte sie, »und nun hör mir zu: Im Grunde sehe ich überhaupt nicht ein, warum du es so unverdient gut haben sollst. Ich sehe auch nicht ein, daß ich eine Arbeitskraft entbehren muß, nur weil du es dir in den Kopf gesetzt hast, ein feines Leben in London zu beginnen. Aber du hast ja fast noch mehr Glück als Verstand!« Lettice kramte in den Falten ihres Kleides und zog ein flaches Päckchen hervor, das sie nachdenklich in der Hand wog.
»Silber«, erklärte sie, »von Miss Brisbane. Als Gegenleistung für die Hilfe, die mir fortan fehlen wird. Ich darf es behalten, wenn du
mit nach London gehst. Und ich muß sagen, von allen Argumenten überzeugte mich dies am meisten. Lady Cathleen ist ein naives kleines Ding, aber Miss Brisbane ist ohne Zweifel eine gescheite Person. Sie schob mir dieses kleine Geschenk zu, als ich gerade
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