Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Augen glühten.
»Fort mit ihr, Kind, schnell!« rief sie voller Furcht. »Ich sehe Unheil und es ist schon ganz nah! Fort, nur fort, so schnell du kannst! « Sie fuchtelte mit ihren dünnen, krallenähnlichen Händen. Mary
wich erschrocken zurück. Im gleichen Augenblick trat Edward aus dem Haus, ungewöhnlich nüchtern, aber dadurch noch gefährlicher. Sein wulstiger Mund verzog sich zu einem häßlichen Grinsen, als er Mary erblickte.
»Unser Kind ist schon zurück?« fragte er sanft. »Wie kommt denn das?« Er trat einen Schritt auf Mary zu, die stehenblieb und ihn starr vor Schreck ansah. Sie begriff, daß sie so schnell wie möglich die Katze loswerden mußte und ließ das Tier einfach fallen, in der Hoffnung, es werde fortlaufen. Statt dessen aber blieb es benommen sitzen, bevor es leise miauend um Marys Beine strich. Edward starrte die Katze an. Ihm war anzusehen, daß sich in seinem Kopf langsam und schwerfällig der Gedanke formte, diese Katze, glänzend und gepflegt wie sie aussah, sei etwas Besonderes, und Marys Herz hinge an ihr. Er begann noch teuflicher zu grinsen als vorher, während er mit langsamen Schritten auf seine Schwester zuging. Mary schrie so laut, daß die ganze Gasse davon widerhallte. Nan erhob sich schwerfällig, aber Edward stieß sie einfach zur Seite, so daß sie in den Schmutz der Straße fiel, wo sie zusammengekauert liegenblieb, einen Fluch nach dem anderen ausstoßend und in wilden Schreien alle Geister beschwörend. Mary hob beide Fäuste, aber Edward drückte sie hinunter, packte die kleine Schwester und schleuderte sie so hart gegen die nächste Hauswand, daß ihr beinahe schwarz vor Augen wurde und sie einen Moment lang bewegungslos um ihr Gleichgewicht kämpfte. Er hob die Katze hoch, die, Böses ahnend, kratzte und zappelte, und lachte brüllend auf, als Mary ihn schluchzend anschrie:
»Nein, Edward, bitte nicht, tu es bitte nicht! Nein, bitte, bitte, Edward! Bitte nicht! Töte mich, aber nicht sie, bitte!«
Edward legte seine beiden riesigen Hände um den zarten Hals der Katze und dann, mit einem harten Ruck, brach er ihr das Genick. Er schwenkte den leblosen Körper hin und her, ehe er ihn mit einer schwungvollen Bewegung der keifenden Nan in den Schoß schmiß.
»Das kommt davon, daß du Mutter von uns erzählt hast!« rief er. »Und das nächste Mal kommst du selber dran!«
»Du kommst in die Hölle, Edward Askew!« brüllte Nan. »Ich schwör’ es dir, du dreckiger Lump, du kommst in die Hölle!«
Edward trat nach ihr und sie spuckte ihm vor die Füße, aber er lachte nur. Mary wollte zu Nan hinlaufen, aber ihre Beine trugen sie nicht mehr, sie fiel zu Boden und kroch auf allen vieren auf die Alte zu.
»O Nan«, schluchzte sie, »Nan, ist sie tot?«
»Ja, Kindchen, sie ist tot«, Nan schüttelte betrübt den Kopf, »armes Kind, armes Kind! Mausetot ist das liebe Kätzchen!«
Mary brach über dem leblosen Körper zusammen, sie zitterte vor Weinen und krümmte sich unter einem Schmerz, der schlimmer war als alle Schmerzen, die sie je erlitten hatte. Sie strich über das Fell der Katze, über die Pfoten, die feucht waren, weil das Tier sie sich gerade noch geschleckt hatte, über die Lippen, die leicht geöffnet standen und über die warme Nase, die bereits ihre rosarote Farbe verlor und gelblich-weiß wurde.
»Warum hat er das getan?« flüsterte sie. »Warum bloß?«
Nan wußte auch keine Antwort. Sie wühlte leise murmelnd zwischen den Gemüseabfällen und stinkenden Fleischresten, die Lettice am Mittag aus dem Fenster gekippt hatte, und suchte nach ihrer Zauberkugel, weil sie sofort herausfinden mußte, welch düsteres Schicksal Edward Askew für sein weiteres Leben bevorstand. Nur die gräßlichste Prophezeiung der Welt konnte jetzt noch ihren Seelenfrieden wiederherstellen.
Mary lief, die tote Katze im Arm, kreuz und quer durch die Wiesen um Shadow’s Eyes. Die Sonne war untergegangen und der Himmel voller Sterne, in der warmen Augustnacht zirpten überall Grillen. Gegen Marys nackte Beine schlugen Brennesseln und Disteln, sie trat auf Steine und harte Erdklumpen, patschte durch flache Bäche, glitt auf Wiesenhängen aus und fiel zu Boden, rappelte sich auf und hinkte weiter. Sie konzentrierte sich darauf, die Katze festzuhalten und sie ganz fest an sich zu pressen, als könne sie etwas von ihrer eigenen Wärme und Lebendigkeit an sie abgeben. Sie hatte keine Vorstellung, wohin sie eigentlich wollte, sie hatte nur einfach fortgemußt. Sie sah
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