Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
ihrem Hals hinunter, seine Lippen lagen an ihrer Kehle, suchten einen Weg tiefer hinab, bis dorthin, wo die weiße Haut im schwarzen Stoff des Kleides verschwand. Mary versuchte ihn fortzuschieben, hielt zugleich den Kopf zurückgeneigt, daß er sie dort küssen konnte, wo er sie gerade küssen wollte. Seine Hände machten sich an den Haken zu schaffen, die Marys Kleid am Rücken zusammenhielten, das Kleid rutschte auseinander, er streifte es an ihren Armen hinunter, und leise raschelnd fiel es zu Boden. Er öffnete langsam die Schnüre ihres weißen Mieders. Mary schloß die Augen. Dies ging über jede Grenze hinaus, aber sie hatte nicht die Kraft, zu ihrem Schrecken nicht einmal wirklich den Wunsch, die Situation zu beenden. Fremde Hände legten sich um ihre Brüste, deren Spitzen plötzlich hart wurden.
»Mary, mein Liebling«, flüsterte Nicolas, »ich liebe dich. Hörst du, ich liebe dich. Ich habe dich geliebt von dem Moment an, als ich dich das erste Mal sah, und seither ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht davon geträumt hätte, dich in meinen Armen zu hatten.«
Mary hörte, was er sagte, begriff es jedoch in diesen Augenblicken kaum. Sie registrierte mit Staunen, daß sie auf dem Boden lag, auf einem harten, hölzernen Boden, und wußte nicht, ob Nicolas sie dort hingezwungen oder sie sich von allein niedergelegt hatte. Über sich sah sie einen Kupferkessel, der von einem Haken hing, golden glänzend im Schein des Kaminfeuers. Dann lag Nicolas über ihr. Seine Hand zeichnete vorsichtig die zwei hauchzarten Lachfalten nach, die sich von ihrer Nase hinab zu den Mundwinkeln zogen.
»Du bist so ernst«, sagte Nicolas leise, »so ernst und still. Woran denkst du? Du atmest schwer. Ach, Mary, Mary, ich liebe dich!« Sein eigener Atem wurde schneller. Seine freie Hand glitt unter den weißen Unterrock, den Mary noch trug. Darunter hatte sie nicht mehr sehr viel an, eine Vorstellung, die sie plötzlich erschütterte. Du lieber Himmel, was wollte er denn noch? Sie war die Braut eines anderen und lag hier mitten in der Nacht auf dem Boden im Sherwood Inn, einer heruntergekommenen Spelunke des Londoner
Südens, Domizil eines Giftmischers und Hehlers, sie lag dort mit nackter Brust, dieser fremde, schöne Mann über ihr, und seine Hände nahmen Wege, die sie mit ihren eigenen zu gehen sich scheuen würde. Es war die Erinnerung an ihre Kindheit, an Marmalon, den Weidenbaum, Frederic, ihr Versprechen, was sie jäh zur Besinnung brachte. Wie konnte sie, wie konnte sie das beiseite schieben? Plötzlich versuchte sie sich zu befreien.
»Laß mich«, fauchte sie, »laß mich sofort los, sage ich! Nicolas, bitte!«
Er richtete sich auf und betrachtete sie verwundert. »Was ist denn?« fragte er. »Warum schreist du denn so?«
Mary schob ihn von sich und rappelte sich auf. Ihre Knie fühlten sich ein bißchen weich an, und vom überstürzten Aufstehen drehte sich für einen Moment alles vor ihren Augen. Nicolas erhob sich ebenfalls. Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie wich zurück.
»Faß mich nicht an«, warnte sie, »und komm mir nicht zu nah.« Mit beiden Armen versuchte sie, ihre Brüste zu bedecken, während sie sich eilig nach ihren Kleidern umblickte.
»Wo sind denn meine Sachen?« fragte sie nervös. »Ach, da sind sie ja!« Mit zitternden Fingern zog sie das Mieder an, schnürte es ungeschickt zu und schlüpfte in ihr Kleid. Sie bekam die Haken am Rücken nicht zu, aber sie schüttelte die Haare darüber, damit man es nicht sah. Nicolas lehnte am Kamin. Er machte keinen Versuch mehr, sie aufzuhalten, sondern blickte sie nur ruhig, ein wenig ironisch an.
»Warum?« fragte er. »Was war denn plötzlich los?«
»Das weißt du genau. Ich liebe einen anderen Mann, und ich werde ihn in vier Monaten heiraten. Da kann ich jetzt nicht mit dir...«
»Das hätte er doch gar nicht gemerkt! Dieses Kind hat doch keine Ahnung von der Liebe. Du hättest ihm nie etwas von mir erzählen müssen und ich schwöre dir, er hätte geglaubt, du seist ebenso blütenrein zu ihm gekommen, wie du einst gegangen bist!«
»Es geht nicht darum, was er merkt! Ich möchte das nicht! Er ist der einzige Mann in meinem Leben, und daran wird sich nichts ändern! «
Sie hatte endlich ihre Schuhe gefunden und schlüpfte hinein. Sie
versuchte, ihre Locken zu ordnen und ihrem Gesicht einen überlegenen Ausdruck zu geben, aber wie stets in Nicolas’ Gegenwart gelang ihr das nicht.
Er lächelte spöttisch. »Schande«, bemerkte er,
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