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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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den Menschen auf der Tribüne der Atem stockte. Über ihrem Auge trug sie eine Dominomaske, in deren Öffnung ein verborgener rotgoldener Funken schwelte. Wo das übrige Gesicht und ihr Kopf sein sollte, war nur ein schwarzes Nichts unter der Kapuze. Als sie vorbeiging, verbargen die Kinder die Gesichter in den Blumen. Und die Reihe Angli verbeugte sich wie Weiden, durch die ein heftiger Windstoß weht.
    Neben ihr schritt ein unbekanntes Tier, das sie an einer Würgekette führte; einer ihrer langen Ärmel endete bei seinem Kopf, aber man konnte keine Hand erkennen. Unter dem Auge der Kreatur erblickte man ein wüstes Gemenge von garstigen Hauern und Fangzähnen. Seine Glieder endeten in plumpen Pfoten und waren scheußlich gespornt. Das Tier strömte Haß und Kälte aus. Bei einer der Bewegungen der Gottheit stieß es ein langgezogenes heulendes Gekläff aus, und der ferne Donner grollte.
    Als sich die Erscheinung dem abgesperrten Bereich näherte, konnte man erkennen, daß ein einzelner großer, königlicher Sitz abseits der anderen Gottheiten für sie bereit gehalten wurde. Dort nahm sie gleichgültig Platz, während sich die umstehenden Angli zu einer Position gleich einem menschlichen Kniefall niederließen und die Zuschauer in der Nähe unwillkürlich die Augen abwandten und den Kopf senkten.
    »Dies ist die Göttin, die wir jetzt verehren«, sagte der Angli neben dem Kommentator. »Sie hat viele Namen, aber nur ein Wesen. Hier auf der Erde nennt Ihr sie am besten das Gesetz von Ursache und Wirkung.«
    »Was ist das für ein ... Tier?«
    »Das ist ihr Werkzeug der Vergeltung für diejenigen, die ihre Gebote brechen, egal ob wissend oder unabsichtlich. Horch!«
    Überall vom Horizont her ertönte das Echo heulenden Gekläffes.
    »O weh! Meine armen Freunde auf der Erde, ihr verehrt diese Göttin nicht, aber ich befürchte, ihr habt ihre Gesetze schwer verletzt. Es könnte sein, daß gerade eine furchtbare Bestrafung für euch unschuldige Geschöpfe vorbereitet wird.«
    »Meinst du, weil wir mit Atomen herumgepfuscht haben?« fragt der Kommentator tapfer.
    »Nein. Das meine ich nicht. Dadurch hätten sich vielleicht einige unserer älteren Stammesgottheiten gestört fühlen können. Diese Göttin, die sich das Gesetz von Ursache und Wirkung nennt, hat nichts gegen Neugierde und sie beantwortet jede Frage. Ihre Vergeltung richtet sich gegen diejenigen, die eine Ursache ins Leben rufen, ohne eine Wirkung zu wünschen. Zum Beispiel das Versagen, dem Resultat einer sich beschleunigenden Vervielfältigung auf einer begrenzten Fläche nicht zuvorzukommen.«
    »Aber ...«
    »Still!« Der anglisische Ansager wandte sich der Menschenmenge zu, die langsam ungeduldig wurde, weil sie nichts von dem Gespräch mitbekommen hatte, und sagte laut: »Bitte, noch nicht aufstehen! Es kommt noch jemand.«
    Doch man sah nichts aus dem Schiff herauskommen. Nur diejenigen, die am nächsten standen, schauderten plötzlich, als ob ein kalter Windhauch sie berührt hätte, obwohl sich nichts bewegt hatte. Er erreichte die Stufen der Ehrentribüne und schwebte offenbar in die Höhe. Mehrere Würdenträger zogen die Schulternhoch und fröstelten.
    Weit entfernt leuchteten kurze Blitze auf. Dann war es vorüber.
    »Das war der Schatten des zukünftigen Gottes«, sagte der anglisische Kommentator laut. »Wie er aussehen wird, wissen wir genausowenig wie ihr ...«
    Habt Ihr gesehen, wie der Papst sich bekreuzigte?
    Den Rest kennt Ihr bereits. Wie sie die Seile entfernten und jeden, der wollte, einluden, sich unter die Götter zu mischen (die Sicherheitskräfte waren bereits auf eventuelle Informalitäten der Angli vorbereitet und hatten diesmal die Dinge fest im Griff).
    »In ihrer momentanen inkarnierten Gestalt sind unsere Götter recht harmlos«, sagte der Ansager. »Leider besitzen sie eine schlechte Angewohnheit. Wenn sie sich langweilen oder unruhig werden, lösen sie sich einfach in reine Energie auf – so heißt es doch in Eurer Sprache, nicht wahr? – und in dieser Form können sie sehr gefährlich werden.«
    Gerade als er das sagte, ertönte vom Diwan der Aphrodite ein hohes klingendes Bersten, als bräche Kristall, und man sah, wie die Göttin in einer Wolke aus weißen Partikeln verschwand, die wie winzige Tauben oder weiße Fische mit langen Flossen aussahen und in Brownscher {2} Manier tanzten, bevor sie sich auflöste.
    Einen Augenblick später zog sich der alte animistische Totemgott ebenfalls mit einem kleinen Donnerschlag

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