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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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Armladung Blumen in Empfang zu nehmen, bevor sie sich in dem reservierten Bereich auf einem überproportionierten Diwan mit Kopfstütze ausstreckte.
    Wir begriffen auch ohne Kommentator, daß soeben die göttliche Aphrodite an uns vorbeigegangen war.
    Ihr folgte ein gewaltiges graues Geschöpf, das, wie der irdische Feuergott Vulkan, hinkte. Und dann, nach einem Augenblick Pause, tauchte eine turmhohe mächtige Gestalt auf, die bedrohlich funkelte, als sie, mit hocherhobenen fremdartigen Waffen, stolz über den Teppich schritt. Doch obwohl alles an diesem Wesen von Krieg und grimmiger Wut dominiert schien, blickte sein Auge klar und jungenhaft, so wie der Gott Mars vermutlich seine Mutter angeblickt hatte.
    Jetzt erschienen Horden und Schwärme geschmückter und mit Edelsteinen behängter Figuren. Einige trugen symbolische Instrumente bei sich. Es waren kleinere Gottheiten, vergleichbar mit den Musen, Nereiden, Bergnymphen aus dem griechischen Götterhimmel, den persischen Feen oder den Wassergeistern hinduistischer Natur. Von Regenbögen überwölbt tanzten sie pfeifend und singend vorüber. Sie kündigten das Kommen einer mächtigen altersgrauen Gottheit an, den unvermeidlichen alten Mann: Zeus, Jahwe, Wotan oder Jehova, mit seiner unbegrenzten Macht und Autorität. Obwohl die Nacht sternenklar war, rumpelte in der Ferne Donner.
    Unterdessen hatten die Angli zu singen begonnen. Zum ersten Mal hörten die Menschen diesen geheimnisvollen, berührenden Singsang.
    Und weiter ging es. Gottheiten erschienen, die Persern, Indern oder Chinesen vertrauter waren als den Beobachtern aus der westlichen Hemisphäre, in grotesk aufgeplusterten Kostümen oder schlangenförmig dekoriert, mit großen gedrechselten und mit Federn geschmückten Masken, die zornig grinsten, oder Augen, die durch Schminke phantastische Dimensionen erhalten hatten. Eskortiert von Wappentieren bewegten sie sich in geheiligten stilisierten Posen zu den für sie vorbereiteten Plätzen. Funken flogen durch die Luft, kleine Flämmchen, die abwechselnd wie Blumen oder Schneeflocken aussahen, aber ein Eigenleben zu besitzen schienen, als sie tanzten und sich hier und dort zusammenballten.
    Schließlich ragte inmitten dieser Schar unterschiedlichster Gottheiten ein in lange weiße Gewänder gehüllter Gott von sichtbar großer Macht empor. Er wurde von etwas Seltsamem begleitet, das man auf den ersten Blick für kleine aufziehbare Spielzeugfiguren in Form anglischer Kinder mit großen leuchtenden Augen hielt. Aber sie waren lebendig.
    »Ein patristischer Gott auf dem Höhepunkt seiner Macht«, erklärte der Ansager. »Reinkarniert sich fortwährend in seinem eigenen Sohn. Offenbar hat er immer noch Gefolgschaft. Und jetzt ...«Er wandte sich ab, um mit seinen anglischen Beratern einen kurzen Kriegsrat abzuhalten.
    In der Pause, die folgte, konnten alle sehen, wie eine der kleinen Sohngestalten immer langsamer wurde und anhielt. Sie wirkte orientierungslos, vielleicht war sie krank. Ein danebenstehender Angli beugte sich herab und tätschelte sie liebevoll, worauf sie sich erholte und weiterlief.
    »Warum führt ihr alle diese ... äh ... offenbar lebenden Götter alter ausgestorbener Religionen mit euch?« fragte der irgendwie aus der Fassung geratene Ansager den Angli neben sich. »Ist euer jetziger Gott – oder eure jetzigen Götter – euch nicht genug?«
    »Der Geist und das Wesen derjenigen, die diese Götter anbeteten, ist immer noch in uns verborgen«, erklärte der Angli (es war einer von denen, die inzwischen eine ganze Reihe irdischer Sprachen recht gut beherrschten). »Verborgen unter der Oberfläche der Zivilisation. Doch jede Zivilisation kann zerfallen. Wenn wir merken, daß einer dieser alten Gottheiten an Lebenskraft und Energie gewinnt, werden wir hellhörig. Viel zu viele von uns beten unbewußt immer noch die alten Eigenschaften an. Deshalb ...« – er vollführte stampfende Bewegungen – »treten wir diese kleinen Feuer aus, sobald wir sie bemerken. Klar? Doch jetzt ...«
    Das Singen hatte aufgehört. Ein paar Atemzüge lang rührte sich niemand. Alle spürten, daß sich etwas Beängstigendes näherte.
    In die Stille hinein trat, oder besser gesagt, materialisierte sich eine große, prächtig gekleidete, verschleierte Gestalt, doppelt so hoch gewachsen wie alle anderen, die bis jetzt erschienen waren. Sie war zweifellos weiblich. Als sie den Weg herabkam, drehte sie das Gesicht zur Ehrentribüne. Sie grüßte nicht, aber man hörte, wie

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